© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/16 / 19. August 2016

Bewundert, gefürchtet, belächelt: Der Blick der anderen auf uns
Wir waren schon immer so
Thomas Fasbender

Deutsch sein heißt, eine Sache um ihrer selbst willen tun – das hat uns in leichter Abwandlung Richard Wagner 1867 ins Stammbuch geschrieben. Ausländer, die schon ihre Erfahrungen gesammelt haben, bringen diesem Satz meist mehr Verständnis entgegen als die Autochthonen. Kollektive Identität ergründet sich eben nicht im Selbstversuch. Für gewöhnlich wissen Nichtdeutsche viel besser als unsereins, was Deutsche ausmacht und auszeichnet, und ganz unbefangen sagen sie einem das auch. Bei Fremden hadert man nicht mit der Zuteilung nationaler Attribute; das geht auch hierzulande leicht über die Lippen: typisch französisch, typisch russisch. Kaum geht es aber darum, das eigene Deutschsein zu bekennen, versinken manche am liebsten im Erdboden.

Andere möchten überhaupt nur Europäer sein. Diese Sorte hat man im Ausland besonders gern: Reden Deutsch, sehen aus wie Deutsche und treten auch so auf – und dann wollen sie keine sein. Ein russischer Diplomat berichtete von einer Berliner Delegation, die darauf bestanden habe, nicht ihre nationalen deutschen, sondern ausschließlich europäische Interessen zu vertreten. Nun muß ein Diplomat in der Lage sein, im Namen eines Dritten beziehungsweise einer Organisation aufzutreten. Die Unerbittlichkeit allerdings, mit der die deutsche Delegation nicht nur mit europäischer Vollmacht, sondern „als Europäer“ auftrat, nährte in dem Russen den Verdacht, er werde an der Nase herumgeführt.

Im großen und ganzen haben Ausländer damit, daß wir Deutsche nun mal auf der Welt sind, weniger Probleme als manche Landsleute selbst. Die Hingabe, mit der man in den urbanen, bildungsnahen und natürlich extrem aufgeklärten Ständen die Singularität der deutschen Erbsünde (inzwischen in dritter Generation) zelebriert, ist allseits bekannt. Wer in diesem Geist sozialisiert wurde, dem stehen nur zwei Wege offen: Entweder man wird bekennender Erbsünder oder man wickelt sich in ein dickes Fell aus Humor und Sarkasmus. Nie wird der Autor das erste Lob vergessen, das ihm allein deshalb ausgesprochen wurde, weil er Deutscher war. Das war vor Jahrzehnten in Pakistan und einigen muslimisch bewohnten Teilen Indiens. Kaum erklang die Antwort auf die Frage „Where do you come from?“, hieß es fast schon in schöner Regelmäßigkeit: „Hitler good!“

Noch andere Erfahrungen lehrt der Blick auf Deutschland mit ausländischen Augen. Eine davon: Wir waren schon immer so. Nationale Klischees, also die Bilder, die wir uns von den anderen (und die anderen sich von uns) machen, bleiben einander über Jahrhunderte treu. Dennoch: Jedesmal, wenn wieder eine internationale Umfrage feststellt, daß die Deutschen sich verändert haben, daß sie locker und weltoffen geworden sind, bricht in den Medien Euphorie aus. Dabei ist die ganze Welt locker und weltoffen geworden, von einigen sehr dunklen Flecken abgesehen. Nur ist das Stil und Attitüde und bedeutet gar nichts; locker und weltoffen kann man auch Kriege führen. Die GIs in Vietnam haben es vorgemacht, Hard Rock im Helikopter und Pot im Hirn, die MP als Taktstock. Unsere Großväter in den Fünfzigern haben sonntags Hut und Schlips getragen und waren deutsch; wir tragen sonntags Jeans und Timberlands und sind deutsch.

Weitgehend verschwunden ist unsere Fähigkeit, aller Welt Angst einzujagen. Daß Deutsche im Ausland keine Knobelbecher mehr tragen, hat ihrer Reputation gutgetan. Auch die einst so berüchtigten deutschen Oberlehrer sind aus der Mode. 

Zu den allseits bekannten Vorurteilen gehört, daß die Menschen jenseits der Landesgrenzen über unsere Witze nicht lachen können. Man möge unsere österreichischen Nachbarn fragen. Die wenigsten Ausländer verstehen den deutschen Humor, manche behaupten, wir hätten gar keinen. Geistreiche Essays wurden zu dem Thema verfaßt, von In- und Ausländern, doch niemandem ist es gelungen, Mark Twain zu widerlegen: „Der deutsche Witz ist nicht zum Lachen.“ 2011 bestätigte eine Umfrage der Internet-Plattform Badoo das alte Klischee. Rund 30.000 Teilnehmer wählten unter 15 Ländern die „witzigste“ und die „unwitzigste“ Nation. Auf dem unwitzigsten Rang: Deutschland.

Ein anderes Klischee lautet, Deutsche würden im Ausland bewundert, belächelt oder gefürchtet. Einiges davon hat sich abgeschliffen, anderes lebt fort (das gilt natürlich nicht für Erasmus-Absolventen, Mitarbeiter der Europäischen Kommission oder die vielen Ausländer, die mit Deutschen verheiratet sind). Weitgehend verschwunden ist unsere Fähigkeit, aller Welt Angst einzujagen. Daß Deutsche im Ausland keine Knobelbecher mehr tragen, hat ihrer Reputation gutgetan. Auch die Knobelbecher mit akademischem Abschluß, die einst so berüchtigten deutschen Oberlehrer, sind aus der Mode. Jene, die man heute noch so nennt, etwa Volkswirte oder Minister, die den Europäern beibringen, was eine schwäbische Hausfrau ist, sind nur schwacher Abglanz.

Bewundert wird wie eh und je die deutsche Ingenieurskunst, vor allem deutsche Autos, deutsche Maschinen und deutsche Waffen. Spürbar gesunken ist unser Ansehen, wo immer es um Großtechnologien geht. Seit dem Ende des Transrapids und dem Ausstieg aus der Kernenergie hat Deutschland seinen Ruf verspielt. Gelitten hat der Ruf auch mit Blick auf Organisationstalent und Disziplin. Das BER-Flughafendesaster gilt in der ganzen Welt als Realsatire.

Das bringt uns zum Belächelt-Werden. Wir sollten stolz darauf sein; eine große Verteidigungsrede scheint angebracht. Über hundert Jahre lang galten Ernsthaftigkeit und Autorität als die erstrebenswertesten, wenn nicht überhaupt konstituierenden Eigenschaften deutscher Männlichkeit. Wie in Erz gegossen stehen sie vor unserem geistigen Auge: Wilhelm von Preußen und Diederich Heßling, der Untertan in Heinrich Manns gleichnamigem Roman. Keiner hat den Anspruch präziser formuliert als der Kaiser in seiner Hunnenrede: „So möge der Name Deutschland in China in einer solchen Weise bestätigt werden, daß niemals wieder ein Chinese es wagt, etwa einen Deutschen auch nur scheel anzusehen.“

Unsere Liebhaber sind wortkarger als die Italiener, unsere Hausfrauen kochen weniger raffiniert als die Französinnen. Wir geben uns gern ein wenig provinziell und stammesmäßig und sind stolz auf den Strauß prachtvoller Provinzen von den Alpen bis zur See.

Wer seine Angst, belächelt zu werden, auf solche Weise in den Wald hineinruft, dem schallt es entsprechend entgegen. Das Deutschlandbild der Jahrzehnte vor 1945 war alles andere als schmeichelhaft. Mag sein, daß es der Generation, die nach Beginn des Wirtschaftswunders im Ausland ein neues Bild der Deutschen prägte, an Erfahrung fehlte. Deutschland hatte nie ein nennenswertes Kolonialreich besessen, und Multikulti war noch vor fünfzig Jahren das Neben- und Miteinander von Pfälzern und Hessen, Bayern, Thüringern und Mecklenburgern. Immerhin wußten unsere Vorfahren um die Sprengkraft religiöser Differenzen; die Erinnerung an allerblutigste Konfessionskriege und daran, daß religiöser Haß tiefer wurzeln kann als die Sehnsucht nach dem irdischen Frieden, steckt uns in den Knochen.

Um so inniger lieben wir universalistische Theorien, das Ideal allumfassender Menschenrechte, europäische oder gar planetare Identitäten. Der türkischstämmige Schriftsteller Zafer Senocak hat es vor einigen Jahren in der Welt so ausgedrückt: „Die Deutschen tun sich sehr schwer damit, zurückzulieben. In der Geschichte und auch heute. Wenn jemand kommt und sich zu diesem Land bekennt, sich auch zu der schwierigen Geschichte bekennt: Es kommt wenig zurück. Weniger als in anderen Ländern. Und vielleicht hat das mit diesem Phantomschmerz zu tun. Die Deutschen sagen: Da ist was faul. Er kann uns nicht lieben.“

Zurück zum Belächeln. Es gibt ja nicht nur den scheelen Blick, sondern auch eine immens menschliche Variante in der Betrachtung eines Objekts, das zu gleichen Teilen amüsiert und gefällt. Was für einen Eindruck machen wir denn in dieser Welt? Ein Griff in den Sack mit den Stereotypen, und die Antwort liegt offen zutage: Unsere Hauptstädter sind nicht so weltgewandt wie die Londoner, unsere Liebhaber wortkarger als die Italiener, unsere Hausfrauen kochen weniger raffiniert als die Französinnen. Der alte Germane scheint manchmal noch durch. Und es stimmt, wir geben uns gern ein wenig provinziell und stammesmäßig; wir sind ja auch stolz auf den Strauß prachtvoller Provinzen von den Alpen bis zum Ostseestrand. Wir lieben unsere Sprache, obschon es heißt, daß sie kehlig und abgehackt klinge. Und wir hängen an diesem Land, an dem schon so endlos viel herumgekrittelt wurde, auch einfach deshalb, weil es unsere Heimat ist.

Wer mit einem solchen Bewußtsein, solchem Selbstverständnis in die Fremde geht und unter Fremden lebt, wird kein böses Wort erfahren, keinem bösen Blick ausgesetzt sein. Viel eher trifft der deutsche Migrant dort auf amüsiertes Lächeln, das ihm sagt: Du bist auch nur ein Mensch. Kein perfektes Wesen, kein Auto, keine Kriegsmaschine und kein Neandertaler. Oder sollte es wirklich erstrebenswerter sein, um teurer Porsches’ und Mercedes’ willen bewundert oder als Besserwisser gefürchtet zu sein? Doch bisweilen ist auch das unser Schicksal. Bisweilen müssen wir im Ausland als Projektionsfläche herhalten für alle Wünsche nach Ordnung, Berechenbarkeit und Harmonie. Pünktlich, diszipliniert, effizient, ehrlich, wahrhaftig und treu. Jeder Entwurf sitzt, jeder rechte Winkel hat exakt 90 Grad. Wir können führen, und wir können folgen.

Wer uns nun unbedingt so sehen will, den sollten wir nicht enttäuschen. Und seien wir ehrlich: Wir sind doch auch ein Volk wie aus dem Bilderbuch.






Thomas Fasbender, Jahrgang 1957, lebt nach vielen Mos-kauer Jahren als freier Journalist in Berlin. Seit 2011 erscheinen seine Beiträge in der JF. Auf dem Forum schrieb er zuletzt über „Putins Mission“ („Rußland – ein Rätsel?“, JF 20/14).