© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/16 / 19. August 2016

Kreativ gegen die Zumutung
Wegen Schockbildern: Das Zigarettenetui feiert seine fulminante Rückkehr
Bernd Rademacher

In alten Filmen wird pausenlos und in jeder Lebenslage geraucht: beim Autofahren, auf dem Polizeipräsidium und sogar im Bett. Wollen sich der Filmheld oder seine Angebetete eine anstecken, ziehen sie ein glänzendes Etui hervor, klappen es lässig-elegant auf und ziehen eine der Zigaretten heraus, die in Reih und Glied unter einem elastischen Gummiband stecken. Das Zigaretten-etui, einst so unentbehrlicher Alltagsbegleiter wie Hut und Spazierstock, ist längst aus unserer Kultur verschwunden. Doch das ändert sich gerade …

Die Warnhinweise auf den Schachteln haben nichts gebracht, außer ein paar neuen Witzen: Ein Mann kauft eine Packung Zigaretten. Der Verkäufer reicht ihm eine Schachtel, auf der steht: „Rauchen macht impotent.“ Sagt der Mann: „Ach bitte, ich hätt’ doch lieber die mit dem Krebs …“

Darum hat die Europäische Union die volkserzieherischen Maßnahmen drastisch verschärft: Seit Mai werden neue Packungen mit gar erschröcklichen Fotos von Raucherlungen, amputierten Beinen und verfaulten Zahnstümpfen bedruckt. Im Handel werden die alten Schachteln nach und nach durch die Horror-Päckchen ersetzt.

Ein neues Objekt              für Gebrauchskunst

Doch damit haben die Brüsseler Experten einen ungeahnten Wirtschafts­impuls freigesetzt: Das Zigarettenetui erlebt einen neuen Boom! Welcher Raucher will sich schon medizinischen Grusel-Motiven aussetzen? Also fort mit der Schockpackung in den Abfall und rein mit den Zigaretten ins ästhetische Fluppen-Futteral.

Die Auswahl ist vielfältig: Das gediegene Etui aus poliertem Blech gibt es in allen Ausführungen und Preisklassen. Vom Zwanziger-Jahre-Stück aus dem Antiquitätenhandel bis zum Superluxusmodell bekannter Schmuckdesigner in Silber, inklusive Brillanten für mehrere tausend Euro. Die normale Ausführung ist schon für unter zehn Euro zu haben und erfreut als persönliches Geschenk auch das Graveurhandwerk. Flohmarkthändler bieten Originalschachteln alter Marken wie Juno oder Eftas an. Einfach die Zigaretten aus der gekauften Packung umfüllen, und schon raucht man im nostalgischen Retro-Flair. Quarzen wie zu Opas Zeiten!

Besonders profitieren junge Designer vom Reglementierungswahn, denn Brüssel hat ihnen ein neues Objekt für Gebrauchskunst geschenkt. Auf Kreativmarkt-Handelsplätzen im Internet wie dawanda.de werden neben selbstgehäkelten Klosettpapierhüllen vermehrt individuelle Zigarettenbehälter angeboten. Das Zigarettenetui ist die neue Handyhülle; ein Riesenmarkt wartet auf schöpferische Kunsthandwerker. Ob aus schönem Leder oder Holz, aus buntem Plastik oder Filz, mit eingebautem Feuerzeug, als Spielkartenset oder Büchlein getarnt – schon übertreffen sich die Anbieter in originellen Lösungen.

Auch der bis in die siebziger Jahre bekannte Zigarettenspender, der auf keinem Wohnzimmertisch fehlte, erlebt ein Comeback. Vom „Zigaretten-Igel“ bis zum selbstgebauten Spender aus einer abgeschnittenen Getränkedose – der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. So hat eine bürokratische Kopfgeburt eine phantasiereiche Gegenbewegung ausgelöst.

Was sich die pharaonisch bezahlten EU-Beamten wohl als nächstes einfallen lassen? Unfallfotos auf Autos? Darmkrebsbilder auf Schweinebraten? Die Säuferleber auf der Rotweinflasche? Konterfeis „südländischer“ Messerstecher auf Schneidwaren? Während die Raucher jedenfalls stilvoll weiterqualmen, sind Kioskbesitzer und Tankstellenpersonal gekniffen: Sie müssen die Bilder am Arbeitsplatz ansehen – auch wenn sie gar nicht rauchen …