© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/16 / 26. August 2016

Es geht nicht um Frieden
Türkei-Leaks: BND-Informationen werfen ein Schlaglicht auf die Regierung Erdogan
Jürgen Liminski

Der Schlag hat gesessen. Die Information, aufbereitet von deutschen Nachrichtendiensten, wonach die Türkei Erdogans eine Aktionsplattform für Terroristen ist, läßt Ankara in seiner aggressiven Polemik gegen Berlin innehalten. Und ganz gleich, ob das Informationsleck beabsichtigt war oder wirklich ein „Büroversehen“, in Ankara fühlt man sich offenbar durchschaut und richtet die verbalen Erpressungsmanöver jetzt allgemein gegen die EU. Vielleicht braucht die Regierung die Deutschen ja noch.

Aber brauchen die Deutschen auch die Türkei? Die 5,6 Millionen Touristen haben längst Ersatz in Spanien, Portugal und Italien gefunden, selbst Frankreich und Griechenland profitieren davon. Kritisch aber nicht unlösbar werden die Wirtschaftsbeziehungen. Sie florierten in der Ära Erdogan. Aber der Boom der türkischen Wirtschaft war aufgepumpt, auch ohne Putsch und Staatsstreich via „Säuberung“ wäre ihr die Luft ausgegangen. Die rund 6.000 deutschen Firmen in der Türkei werden vielfach andere Absatzmärkte suchen müssen, dito die Investoren. 

Und der Flüchtlingsdeal? Er ist ohnehin obsolet: die Balkanroute ist dicht, der Menschenstrom kommt jetzt aus Libyen. Und in Syrien und im Irak ist das Terrorgebilde namens Islamischer Staat in arger Bedrängnis. 

Der IS schrumpft, und es werden demnächst viele syrische Flüchtlinge zurückkehren, die in den Lagern im Libanon, Jordanien und auch in der Türkei ausgeharrt haben. Übrigens auch dank deutscher Hilfe. Denn unter den Truppen, die gegen die islamistische Terrormiliz vorgehen, befinden sich auch Einheiten des KSK (Kommando Spezialkräfte), der ultrageheimen Elitetruppe der Bundeswehr, was die Regierung aus Schutzgründen gewohnheitsmäßig dementiert, was Beobachter aber aus gesicherter Quelle erfahren können. 

Auch britische, amerikanische und französische Elite-Einheiten sind vor Ort und führen da, wo die kurdischen Peschmerga nicht oder nur unter hohen Verlusten vorankommen, taktische Schläge mit hoher Effizienz aus.

Während die Islamisten Kämpfer und Terrain verlieren, sind die Verluste bei den Eliteeinheiten der vier Länder, die abgestimmt, aber getrennt voneinander zuschlagen, gering. Diese Einheiten operieren taktisch, ihre Ergebnisse haben strategische Bedeutung. Die befreiten Gebiete werden von Kurden besetzt. So ist ein Korridor entlang der syrisch-türkischen Grenze bis tief in den Irak hinein entstanden, es fehlt noch ein Streifen von knapp fünfzig Kilometern – und der IS ist von der Türkei völlig abgeschnitten. 

Bisher erhielten die Islamisten Nachschub an Kämpfern und Waffen aus der Türkei, was ja auch der BND-Bericht offenlegt. Wenn es den Kurden mit Hilfe der Elite-Einheiten gelingt, die letzten 50 Kilometer zu befreien, werden sie einen eigenen Staat oder zumindest ein autonomes Gebiet ausrufen, das den Kurden in der Türkei als Rückzugsgebiet dienen kann. Nichts fürchtet Erdogan mehr. Deshalb hat seine Marionetten-Regierung angekündigt, sich stärker in Syrien engagieren zu wollen. Es geht Erdogan nicht um Frieden in Syrien, sondern um einen Vorwand, um militärisch, notfalls mit Bodentruppen in Syrien selbst gegen die Kurden vorzugehen.

Hier wird es kritisch. Denn auch Berlin muß diese Entwicklung fürchten. Der Krieg, den Erdogan gegen die Kurden führt, kann auch in Deutschland einen Nebenschauplatz finden. Vorsichtshalber wurde in Köln auf Anraten der Polizei das  „Internationale Kurdische Kulturfestival“ abgesagt. Es sollte im Rhein-Energie-Stadion abgehalten werden, mindestens 30.000 Besucher waren erwartet worden. Die Initiatoren reagierten empört auf die Empfehlung der Polizei. „Zehntausende türkische Nationalisten konnten ungehindert in Köln aufmarschieren, sich mit einer Diktatur solidarisieren und gegen die deutsche Politik wettern“, hieß es auf der Homepage des Kurden-Vereins. Aber die Polizei hatte Anzeichen dafür, daß eben Erdogan-Nationalisten gewaltsam die Kurden-Veranstaltung stören wollten. Solche Zusammenstöße werden aber kommen. Die Türken in Deutschland sind gespalten. Erdogans kalter Staatsstreich und Ausbau der Türkei in eine islamistische Diktatur wird hierzulande zu Konfrontationen führen. Das haben London, Paris und Washington nicht zu befürchten. Sie werden den noch heimlichen Kurdenstaat ebenso heimlich weiter und noch stärker unterstützen.

Und wie zuverlässig bleibt Erdogan als außen-und sicherheitspolitischer Partner? Erdogan erweitert derzeit seine Allianzen und orientiert seine Außenpolitik völlig neu. Die Annäherung an Moskau zu Putin hat zwar vor allem wirtschaftliche Gründe. Erdogan will die Türkei zur Drehscheibe für den Öl-und Gashandel in und für Europa machen. Auch Israel und Zypern, die in ihren Hoheitsgewässern umfangreiche Öl- und Gasreserven entdeckt haben und in den kommenden Jahren erschließen werden, wollen die Ware durch die Türkei nach Europa bringen. Im großen Spiel um die Energieversorgung Europas verschieben sich die Gewichte. Die Abhängigkeit von Rußland und der Türkei dürfte auf jeden Fall größer werden – es sei denn, die Europäer können die Lage in Libyen stabilisieren und sich direkt mit Israel und Zypern verständigen. Wie man es auch dreht und wendet: Es ist gut, wie die Touristen zu verfahren und Ersatzoptionen zu suchen. Auf ideologisch getriebene Diktatoren wie Erdogan ist kein Verlaß.