© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/16 / 26. August 2016

Der Kampf um das Brot von morgen
Chemiebranche: Die Übernahme des US-Saatgutkonzerns Monsanto durch Bayer ist auch eine Standortfrage
Jörg Schierholz

Am 10. Mai schrieb Werner Baumann, neuer Chef der Bayer AG, einen inzwischen öffentlich zugänglichen Brief, der es in sich hatte: „Bayer ist seit langem beeindruckt vom Geschäft, dem Führungsteam und der großen Innovationsfähigkeit von Monsanto wie auch von seinem Engagement für die Landwirte“, heißt es in dem Schreiben an Hugh Grant, seit 2003 Chef des US-Saatgutkonzerns.

Das gemeinsame Treffen am 18. April in Leverkusen sei eine gute Gelegenheit gewesen, „Ihre Vorstellung von den Vorteilen eines global integrierten Agrargeschäfts kennenzulernen – die Kombination von Saatgut und Pflanzeneigenschaften, Pflanzenschutz, Biologika und Digital Farming als Erfolgsformel“. Bayer plane zudem, St. Louis (Bundesstaat Missouri) „als Hauptsitz des weltweiten Bereichs Saatgut und Pflanzeneigenschaften – einschließlich der entsprechenden Forschung und Entwicklung – sowie als Zentrale für Nordamerika weiterzuführen.“

Den Aktienkurs von Bayer haben die Übernahmeverhandlungen kaum beflügelt – seit Anfang 2015 haben die Anteilseigner des Leverkusener Weltkonzerns die Hälfte ihres Einsatzes verloren (JF 23/16). Der leichte Kursaufschwung seit Ende Mai zeigt aber, daß Baumann nicht alle Investoren verschreckt. Aber warum? Monsanto ist einer der weltgrößten Saatguthersteller. Gentechnisch modifiziertes Saatgut ist die Ausgangsbasis für das meiste in den USA angebaute Getreide und dortige Sojabohnen. Auch in Südamerika und Indien ist der bereits 1901 als Chemiefabrik gegründete Konzern sehr erfolgreich.

Monsanto ist aber auch der Entwickler des umstrittenen Unkraut-Wirkstoffs Glyphosat (JF 15/16), das nach langer Diskussion in der EU für weitere zwei Jahre zugelassen bleibt. Zudem gibt es kaum ein Unternehmen, das ein noch schlechteres Image hat als Monsanto – vor allem wegen der rüden Lobbyarbeit für die „grüne“ Gentechnik und der Prozesse gegen Landwirte, die angeblich Monsanto-Patente verletzen.

Daß trotz des schlechtes Images Bayer dennoch auf Monsanto setzt, ist auch der teilweisen Technologiefeindlichkeit in Deutschland zu verdanken. Geht es um Autos, gilt trotz wachsender Restriktionen weiter: „Freie Fahrt für freie Bürger“ – zumindest auf einigen Autobahnabschnitten. VWs „Dieselgate“, Stickoxide oder Feinstaub haben dem Absatz nicht geschadet. Die Pkw werden immer PS-stärker und größer.

Gleichzeitig stimmt in Umfragen die Mehrzahl der Befragten der Feststellung zu: „Wenn es auch nur ein geringes Risiko für den Menschen gibt, dann sollte man auf technische Entwicklungen lieber verzichten.“ Dabei wurden die ersten transgenen Pflanzen für die grüne Biotechnologie 1983 am Kölner Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung gemeinsam mit Kollegen von der Universität Gent entwickelt. 21 Jahre später verbot das rot-grüne Gentechnikgesetz den Einsatz gentechnisch optimierter Organismen aber in der Praxis. Da sich auch unter den Nachfolgeregierungen kaum etwas änderte, beschloß der BASF-Vorstand 2012, seinen Pflanzenschutzbereich ins Ausland zu transferieren. Die „zivilcouragierten Feldbefreier“ hatten immerhin ihr Ziel erreicht.

Technologieverlagerung von Bayer in die USA?

Schon 1984 verhinderte der seinerzeitige hessische Umweltminister Joseph Fischer, daß der damals größte Pharmakonzern der Welt, die Hoechst AG, mit Hilfe gentechnisch modifizierter Bakterien lebensnotwendiges Insulin herstellen konnte und stellte damit die Weichen für den Exodus der biotechnologischen Forschung in Deutschland. Erst 1998 wurde eine stark modifizierte Gen-Insulinproduktion in Frankfurt-Höchst von Bundesforschungsminister Jürgen Rüttgers eröffnet. Hoechst schloß sich 1999 mit Rhône-Poulenc zu Aventis mit Sitz in Straßburg zusammen. 2004 übernahm der französische Konkurrent Sanovi Aventis. Das alte Hoechst-Firmengelände ist heute ein Industriepark für Chemie- und Pharmaunternehmen.

Dabei war Deutschland über ein Jahrhundert lang führend in Chemie- und Pharma-Bereich. Wegweisende Wirkstoffe wie die Schmerzmittel Aspirin und Paracetamol sind eigene Erfindungen, ebenso viel verwendete Blutdrucksenker wie Ramipril und Amlodipin, bedeutende Medikamente gegen die Raucherlunge (COPD), wichtige Antibiotika, Insulinpräparate, innovative Mittel zur Schlaganfallvorbeugung sowie das meistverwendete gentechnischen Rheuma-Medikament. Von den jetzt etwa 200 innovativ-biotechnologisch hergestellten Arzneimitteln mit Zulassung in Deutschland stammt inzwischen fast keines mehr aus deutschen Laboren. Dabei bietet die Gentechnik einzigartige Chancen im Kampf gegen Krankheiten wie Krebs, Diabetes oder Aids.

Noch drastischer erging es der „grünen“ Gentechnik – allerdings dank Greenpeace & Co. nicht nur in Deutschland. Das veranlaßte mehr als hundert Nobelpreisträger, einen offenen Brief zu schreiben, in dem sie sich vehement für deren Einsatz in der Landwirtschaft aussprechen (JF 30/16). Sie stellen sogar die Frage, ob sich Gentechnikgegner eines „Verbrechens gegen die Menschlichkeit“ schuldig machen, denn mit Pflanzen, die ihre eigenen Insektizide erzeugen und gegen Fäulnis resistent sind, ließe sich der Hunger in der Welt wesentlich wirksamer bekämpfen.

In diesem sozio-ökonomischen Lichte muß der Übernahmeversuch von Bayer betrachtet werden. Das erklärt auch warum Baumann diese Transaktion unbedingt abschließen will – offenbar koste es, was es wolle. Selbst eine feindliche Übernahme ist nicht ausgeschlossen. Wird Monsanto übernommen, wird daher konsequenterweise der gesamte Bereich Pflanzenschutz/Saatgut (Crop-Science Division) von Bayer in die USA verlagert, da man dort der Technologie und den daraus resultierenden Produkten positiver gegenübersteht. Und es dürfte nicht die letzte Verlagerung von biotechnologischen Forschungs- und Entwicklungskapazitäten gewesen sein. 

„Die Technik von heute ist das Brot von morgen – die Wissenschaft von heute ist die Technik von morgen“, sagte einst Bundespräsident Richard von Weizsäcker. Eine Gesellschaft, die jedes Risiko ausschließen will, vergibt auch jede Chance. Wer das nicht berücksichtigt, landet wie die Insulin-Anlage von Hoechst im Museum.





Übernahmepoker Bayer-Monsanto

Im Mai machte Bayer ein erstes 55-Milliarden-Euro-Angebot für die Übernahme des US-Biotech-Konzerns Monsanto: 122 Dollar pro Aktie. Das seien „36 Prozent Prämie auf den gewichteten durchschnittlichen Aktienkurs der vergangenen drei Monate“, hieß es in der Ad-hoc-Mitteilung. Das entspreche dem 15,8-fachen des operativen Monsanto-Gewinns. Doch die Offerte war vergeblich. Das im Juli auf 125 Dollar pro Aktie erhöhte Angebot haben die Amerikaner erneut abgelehnt: Der Preis würde den „wahren Wert“ des Unternehmens nicht widerspiegeln. Der Verhandlungsexperte Matthias Schranner warnte in der Wirtschaftswoche vor einer feindlichen Übernahme: „Hedgefonds würden noch stärker einsteigen und die Preise hochtreiben. Womöglich würde die geplante Übernahme dann auch noch ein Thema im US-Präsidentschaftswahlkampf.“ Ob das Geschäft jährliche Ergebnisbeiträge von 1,5 Milliarden Dollar erbringt, ist fraglich. Den finanzierenden Banken Merrill Lynch und Credit Suisse dürfte das hingegen gleichgültig sein.