© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/16 / 26. August 2016

Der Steuerzahler soll es richten
Bildungsmonitor 2016: Konzernlobbyisten fordern zusätzliche Milliarden für Schutzsuchende / „Alphabetisierung und arbeitsplatzbezogene Grundbildung“
Jörg Fischer

Daß die drei Freistaaten Sachsen, Thüringen und Bayern im Schnitt die besten Schulen und Hochschulen in Deutschland bieten, ist kein Geheimnis. Auch daß Nordrhein-Westfalen, Berlin und Brandenburg im „Bildungsmonitor 2016“ erneut die Negativliste anführen, überrascht niemanden. Allenfalls daß Brandenburg trotz hohem Angebot an Fremdbetreuung zwölf Ränge hinter Bayern („Der Anteil der Kindergarten- und Grundschulkinder in Ganztagseinrichtungen ist im bundesweiten Vergleich sehr niedrig“) landet, paßt nicht zu den gängigen Reformkonzepten.

Ob es daran liegt, daß nach 1990 im Potsdamer Kultusministerium fortschrittliche NRW-Experten und in Dresden konservative bayerische Kollegen das DDR-Bildungssystem abwickelten? Daß das weltoffene Hamburg trotz eines hohen Anteils an Schülern, die nicht die Mindestanforderungen in Mathe und beim Lesen erfüllen, auf Platz fünf landet, wirft ebenfalls Fragen auf.

Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) versucht diese indirekt zu beantworten: „Zum ersten Mal in 13 Jahren Bildungsmonitor haben die Länder im Durchschnitt keine Verbesserungen gegenüber dem Vorjahr erreicht. Vor allem bei der Integration ausländischer Schüler gibt es sogar Rückschritte – so ist die Schulabbrecherquote unter Ausländern innerhalb eines Jahres von 10,7 auf 11,9 Prozent gestiegen“, klagt Hubertus Pellengahr, Geschäftsführer der vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall finanzierten INSM. Dies gebe Anlaß zur Sorge, denn mit der Integration der Flüchtlinge stehe die Bildungspolitik „vor einer neuen, riesengroßen Herausforderung“. Axel Plünnecke, Leiter des Kompetenzfelds Humankapital beim von den Verbänden BDA und BDI getragenen Institut der deutschen Wirtschaft (IW), der den INSM-Bildungsmonitor verantwortet, hat aber eine Lösung parat: „2017 werden allein rund 98.500 zusätzliche Kita-Plätze für die Flüchtlingskinder benötigt. Dazu braucht es Lehrkräfte für rund 200.000 zusätzliche Schulkinder und einen Ausbau der Berufsvorbereitung.“

Mehr als die Hälfte hat keine Berufsausbildung

Allein kommendes Jahr bedeute dies „zusätzliche Bildungsausgaben des Staates in Höhe von 3,5 Milliarden Euro“. Ob der in der Studie zugrundegelegte Jahreskostensatz von 5.600 Euro für Grundschüler und von 7.360 Euro für die 11- bis 16jährigen ausreicht, ist fraglich. Verlangt wird zudem beispielsweise eine ausgebaute Ganztagsinfrastruktur, ein flächendeckender Ausbau der Willkommensklassen und eine „Lehrerqualifizierung zu Deutsch als Fremdsprache und Deutsch als Zweitsprache“.

Die Frage, warum der Steuerzahler und nicht die Zuwanderung fordernden Konzerne die Zusatzausgaben schultern sollen, kommt Plünnecke, der ansonsten für radikale Privatisierung plädiert und den rot-grünen Kampf gegen das Betreuungsgeld unterstützte, nicht in den Sinn. Daß die 3,5 Milliarden nicht ausreichen, ist absehbar: Nur zwei Prozent der Asylerstantragsteller hätten Deutschkenntnisse, 28 Prozent behaupteten, Englisch zu sprechen. 53 Prozent der sozialversicherungspflichtig beschäftigten „Personen aus Asylzugangsländern“ hätten keine Berufsausbildung.

Wegen eklatanter Bildungslücken sei deshalb „ein dringender Ausbau der Maßnahmen zur Alphabetisierung und arbeitsplatzbezogener Grundbildung notwendig“. Etwas widersprüchlich ist die INSM-Forderung nach mehr frühkindlicher Fremdbetreuung für Einwandererkinder, denn „in Kindergartengruppen mit einem hohen Anteil von Kindern nichtdeutscher Herkunft kann die Qualität der Entwicklungsanregung abnehmen“.

Dabei wertete der Bildungsmonitor nur Daten der Jahre 2014 und 2015 aus. Aktuellere Zahlen lagen nicht vor. Dafür dokumentiert die INSM unfreiwillig, wie sich innerhalb eines Jahres die politisch-korrekte Bezeichnung für die „Fachkräfte von übermorgen“ (Andrea Nahles) wandelte: Die Bezeichnungen „Flüchtlinge“ und „Geflüchtete“ würden „in Folge synonym für alle Personen verwendet, die als Schutzsuchende nach Deutschland gekommen sind“, heißt es in einer Fußnote zu Beginn des Kapitels über „Maßnahmen zur Bildungsintegration von Flüchtlingen“.