© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/16 / 26. August 2016

Einflußreicher als alle anderen
Bertelsmann-Stiftung: Dem Staat im Staate liegt vor allem die Einwanderung am Herzen
Christian Schreiber

Reinhard Mohn formulierte einst die Ziele einer gemeinnützigen Stiftung, die sich äußerst nobel anhören. Die Bertelsmann-Stiftung sei eine Organisation, „die ausschließlich im Sinne des übergeordneten Gesellschaftsinteresses handele“,  schrieb der Gründer vor zwanzig Jahren. Auch wenn der Mentor und Initiator bereits seit sieben Jahren tot ist, gilt sein Kredo noch immer: „Sie braucht keine Abhängigkeiten zu fürchten und sie darf es wagen, auch unbequeme Wahrheiten auszusprechen.“ 

Ein Blick auf die Internetseite der an den Bertelsmann-Konzern angeschlossenen Stiftung gewährt tiefe Einblicke in das Selbstverständnis der Organisation. Es vergeht kaum ein Monat, in dem sich die Forscher aus Gütersloh nicht mit einer Studie zu Wort melden. „Ankommen in Deutschland“ heißt der Titel einer Veröffentlichung. Eine andere beschäftigt sich mit dem Thema „Durch Vielfalt besser lernen“. Gefördert wird zudem ein vom Analyse- und Beratungshaus Phineo herausgegebener Ratgeber für ein wirksames Engagement für Flüchtlinge – „von der Akuthilfe zu Integration und Inklusion“.

Linke sieht neoliberalen „Kraken“ am Werk 

Das Thema Flüchtlinge und deren Integration ist seit Monaten ein Dauerbrenner. Grundtenor: Eine bessere Einbindung von Einwanderern komme in einigen Jahren dem Wirtschaftsstandort zugute: „Deutschland braucht Einwanderung, denn seine Entwicklung wird über lange Zeiträume von Überalterung und Fachkräftemangel bestimmt sein. Um qualifizierte Einwanderung zu fördern, muß Deutschland eine faire Migrationsarchitektur entwerfen. Eine echte Willkommens- und Anerkennungskultur ist dringend geboten“, heißt es in der Einleitung zu einer der jüngsten Studien. 

 Die Stiftung, die „keine Abhängigkeiten zu fürchten braucht“, steht allerdings seit Jahren in dem Ruf, Abhängigkeiten regelrecht zu fördern. In einer Festschrift zum 25jährigen Bestehen bezeichnet sie sich „zum einen als Reformwerkstatt, die einzelne Modellversuche konzipiert und umsetzt; zum anderen möchte sie durch Verbesserung der Beratungsqualität direkt Einfluß nehmen auf politische Entscheidungsträger“. 

Diese Praxis hat in den vergangenen Jahren häufig Kritik hervorgerufen. Der frühere SPD-Politiker Albrecht Müller erklärte, die Stiftung sei „ein Staat im Staate“, der sich „wie ein gefährlicher Krake“ ausbreite und „die neoliberale Ideologie in die Gesellschaft“ transportiere. 

Durch Vorabsprachen mit Politikern jenseits der Parlamente betreibe sie gar „eine Privatisierung der Politik“, betonte der Publizist Frank Böckelmann, Autor eines Buches über den Bertelsmann-Konzern („Hinter der Fassade des Medienimperiums“) gegenüber dem Berliner Tagesspiegel. 

Offiziell sagen die Vertreter, daß es keine inhaltliche Verknüpfung zwischen Stiftung und Konzern gebe (Infokasten).Doch die personellen Überschneidungen sind offensichtlich. Im vierköpfigen Vorstand sitzen Mohns Ehefrau Liz sowie seine Tochter Brigitte. Beide sollten ursprünglich vor vier Jahren vereint Vorsitz übernehmen, verschoben dieses Ansinnen aber offiziell aus persönlichen Gründen auf einen späteren Zeitpunkt. 

Seitdem ist der frühere niederländische Arbeitsminister und spätere OECD-Vizepräsident Aart de Geus Vorsitzender, dem Kritiker aber bescheinigen, er sei nicht mehr als ein Abnicker der Mohn-Familie. Darüber hinaus gehört auch noch der frühere Wissenschaftssenator Jörg Dräger dem Vorstand an, der als Vertrauter des ehemaligen Hamburger Bürgermeisters Ole von Beust gilt.

Kritiker vor allem aus dem linken politischen Lager halten der Stiftung eine „Lobbyarbeit für neoliberale Politik“ vor. Bereits mehrfach gab es Bedenken, die Organisation könne gegen den eigenen Stiftungszweck verstoßen und sei im Grunde nicht gemeinnützig.  Dadurch, daß die Stiftung die Mehrheit am Konzern hält, finanziert sie sich im wesentlichen durch dessen Gewinne. 2014 hat sie rund 117 Millionen Euro eingenommen. Ein solches Modell bietet Vorteile für den Konzern, der auf diesem Weg Steuern sparen kann. „Auf diese Weise haben sie die Möglichkeit, salopp formuliert, zweckgebunden Steuern zu zahlen, sie sparen Steuern und geben dieses gesparte Geld dann über Stiftungen für bestimmte Zwecke aus, das ist nicht alles reine Philanthropie, wie das häufig so getan wird, das sind Steuersparmodelle“, sagte Andreas Keller von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) gegenüber dem Deutschlandfunk. 

Der Münchner Journalist Thomas Schuler gilt als Experte in Sachen Stiftungen. Bereits vor einigen Jahren hat er ein Buch über Bertelsmann veröffentlicht. Noch heute hält er Vorträge zu diesem Thema. Er wirft der Bertelsmann-Stiftung Machtmißbrauch vor:. Lobbyismus gehe vor Gemeinnutz. „Sie  hat mehr Einfluß als irgendeine andere Stiftung in Deutschland“, sagte Schuler dem Handelsblatt. Sie hat an wichtigen Gesetzen wie beispielsweise Hartz IV mitgearbeitet. 

Außerdem sei die Stiftung undemokratisch, beeinflusse aber die Demokratie. „Das kann eine demokratische Gesellschaft nur akzeptieren, wenn die Stiftungskonstruktion ein Mindestmaß an Mitsprache erlaubt“, fordert Schuler. Doch dies sei nicht der Fall. Externe Aufträge und Anfragen nimmt die Stiftung nicht an. Ihre Mitarbeiter würden die Projekte selbst ins Leben rufen, analysieren und auswerten, schreibt der Vorsitzende de Geus. 

Gute Noten für umstrittenes TTIP

Seit ihrem Bestehen hat die Bertelsmann-Stiftung rund 1,2 Milliarden Euro für ihre Arbeit zur Verfügung gestellt. Sie arbeite in den Themenbereichen Bildung, Schule und Universitäten, Gesundheitspolitik, demographische Entwicklung, Arbeits- und Sozialpolitik, Außen- und Sicherheitspolitik. Damit verfolge man eindeutig einen gemeinnützigen Zweck. Steuerrechtlich sei alles in Ordnung. „Wir werden regelmäßig überprüft“, teilt der Aufsichtsrat mit. 

Neben dem Thema Flüchtlinge richtete die Stiftung einen Schwerpunkt ihrer Arbeit in den vergangenen Jahren auf die Diskussion über das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP.

Dabei hat sie häufig mit dem eher konservativen und wirtschaftsliberalen Ifo-Institut von Hans-Werner Sinn kooperiert. „Bereits 2013 hatte Bertelsmann im Rahmen des Projektes „Global Economic Dynamics“ mehrere Interviews, Graphiken und Videos zum Thema TTIP bereitgestellt. Meist basieren diese auf einer Ifo-Studie. 

Wie aussagekräftig diese Studie ist, zeigt schon, daß das Ifo-Institut im gleichen Jahr eine Studie für das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie durchführte, bei der sie zu einem völlig anderen Ergebnis kam“, kritisieren die Globalisierungsgegner von Lobbycontrol. Bertelsmann hält dagegen und bezeichnet die Studie als seriös und wissenschaftlich fundiert. „Durch das angestrebte Freihandelsabkommen der EU mit den Vereinigten Staaten könnten alleine in Deutschland laut Studie 160.000 Arbeitsplätze entstehen“, bilanzierte die Stiftung schließlich und schaffte es mit dieser Schlagzeile bis zur besten Sendezeit in die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender.

 Lobbycontrol wundert das wenig und zählt die Verbindungen der Stiftung zu deutschen Medienmachern auf. ZDF-Chefredakteur Peter Frey sei Mitglied des von der Bertelsmann-Stiftung getragenen „Centrums für angewandte Politikforschung“. Kein Geheimnis ist darüber hinaus, daß der frühere ZDF-Journalist Klaus-Peter Siegloch in einem Kuratorium der Stiftung sitzt. Diese streitet eine Einflußnahme auf Medienvertreter strikt ab. Ihre Aufgabe sei es, mit allen gesellschaftlich relevanten Entscheidungsträgern und Multiplikatoren in Kontakt zu stehen. 

Der ebenfalls öffentlich-rechtliche Deutschlandfunk verteidigt die häufige Berichterstattung über die Studien aus dem Gütersloher Haus. In der Vergangenheit hatte der Radiosender ausgesprochen prominent über die Veröffentlichungen in Sachen TTIP oder Bildung berichtet. „Die Bertelsmann-Stiftung hat sich der Bildungspolitik verschrieben und setzt sich nach eigenem Bekunden für mehr Chancengerechtigkeit ein. Ihre Auftragsstudien gelten als seriös und finden auch Niederschlag in den Deutschlandfunk-Nachrichten“, teilt der Sender mit. 

Studien mutieren zur heiligen Offenbarung

An anderer Stelle berichtet der DLF allerdings darüber, daß der Bertelsmann-Konzern „die Bildung als strategisches Geschäftsfeld“ entdeckt habe und weiterentwickeln wolle. „Bildung paßt aufgrund der Markt- und Geschäftscharakteristika sehr gut zu Bertelsmann mit seinem langfristigen unternehmerischen Ansatz und der Eigentümerstruktur mit Familie und Stiftung“, teilt der Konzern mit.  Auf ihrer Internetseite finden sich mehr als ein Dutzend Verweise auf jüngere Studien, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen. 

Dem Deutschen Lehrerverband sind die Ergebnisse ein Dorn im Auge. „Die bildungspolitische Debatte ist immer weniger orientiert an den Kriterien Rationalität und Ehrlichkeit, sondern immer mehr geprägt von Schreckensszenarien gewisser Organisationen und Stiftungen. Damit solche Szenarien ihre Wirkung entfalten können, werden sie als Studien und damit als Wissenschaft verkauft. Wenn der Initiator einer solchen Studie auch noch OECD oder Bertelsmann heißt, dann steht eine solche ‘Studie’ kurz vor der Heiligsprechung zur apokalyptischen Offenbarung“, kritisiert Verbandspräsident Josef Kraus. 

Buchautor Schuler kommt zu dem ernüchternden Ergebnis: „Ganz gleich wer in Berlin oder Brüssel regiert, die Bertelsmann-Stiftung regiert immer mit. Die Experten aus Gütersloh sind immer dabei in der öffentlichen Verwaltung, in der Bildungs-, Arbeitsmarkt-, Gesundheits- oder Außenpolitik. Demokratisch ist das nicht.“  

Der Vorstandsvorsitzende Aart de Geus hält sich bei all diesen Vorwürfen bedeckt. Die Stiftung gewährt selten Medientermine, die Eigentümerfamilie gilt als äußerst öffentlichkeitsscheu. „Das Arbeiten im verborgenen entspricht dem Gegenteil dessen, was eine gemeinnützige Stiftung ausmachen sollte“, sagt Schuler. De Geus erklärt lediglich, man sei stetig bemüht, „die Stiftung noch besser zu machen“. Außerdem würden alle Entscheidungen in den Gremien demokratisch getroffen. Daß Familie Mohn ein Vetorecht hat, brauchte er allerdings nicht zu bestreiten. Dieses räumte sein Vorgänger, Gunter Thielen, in einem der wenigen Interviews ein: Es gelte eben, das Erbe Reinhard Mohns zu bewahren.





Bertelsmann – Stiftung und AG

Gegründet wurde die Stiftung 1977 durch den Multi-Unternehmer Reinhard Mohn, der damals auch Vorstandsvorsitzender des Medienkonzerns Bertelsmann war. Förderungsschwerpunkte waren zunächst die Bereiche Führungstechniken in Wirtschaft und Staat, Medien, Kultur, Bildung sowie das Sozial- und Gesundheitswesen. Als erste Veröffentlichung im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung erschien 1978 die Untersuchung „Kommunikationsverhalten und Buch“. Ein Jahr später fördert die Stiftung die Erstellung einer Studie, die sie 1981 gemeinsam mit der Stadt Gütersloh unter dem Titel „Integration von Ausländern – Illusion oder realistische Perspektive?“ herausgibt. Zwischen 1980 und 1983 werden zudem Einrichtung und Arbeit von zwei Leseclubs für deutsche und ausländische Jugendliche in Gütersloh gefördert. Der Stiftungsetat betrug zur Gründung 18 Millionen Mark. Knapp 15 Jahre später übertrug Mohn fast zwei Drittel des Aktienkapitals der Bertelsmann AG auf die Bertelsmann-Stiftung. Heute hält sie über 77 Prozent der Aktien an einem der größten Medienunternehmen weltweit, zu dem unter anderem das Verlagshaus Gruner + Jahr, die RTL Gruppe sowie der Erbschaftsprozeß-Dienstleister Arvato gehören.