© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/16 / 26. August 2016

Pankraz,
das Sozialforum und die linke Wirtschaft

Das diesjährige 12. Weltsozialforum in Montreal war eine große Pleite. Ursprünglich im brasilianischen Porto Allegre als Widerpart zum Weltwirtschaftsgipfel im schweizerischen Davos gegründet, sollte es der „Stimme der Werktätigen“ aus aller Welt Gehör verschaffen. Aber von wirklichen Werktätigen war in Montreal niemand zu sehen, stattdessen einige mehr oder weniger gelehrte „Ökonomen“ aus allerlei Fakultäten, die mit donnerndem Pathos ihre bekannten antikapitalistischen Sprüche abließen. 

Pankraz mußte dabei an den AfD-Politiker Alexander Gauland denken, der in seiner Zeit bei der CDU in Hessen und auch später noch als Herausgeber der Märkischen Allgemeinen in Potsdam seine Gäste mit der lapidaren Feststellung zu erschrecken pflegte: „Die Wirtschaft ist links.“ Manchmal gab es zornige Einrede von seiten der Gäste, die – wie Pankraz sich erinnert – mit Hinweisen auf die Autoren Michael Hardt und Antonio Negri kamen, welche doch gerade dabei seien, ein funkelnagelneues „Kommunistisches Manifest“ mit untrüglichen Beweisen für das Rechtssein des modernen Kapitals auszuarbeiten.

Aber gerade die Schwarten von Hardt/Negri, sagte Gauland damals, läsen sich wie Rechtfertigungsorgien für den entschiedensten Neoliberalismus, man müsse nur genau hinschauen. Ob nun Weltwirtschaftsgipfel oder Weltsozialgipfel – das Vokabular sei über weite Strecken  austauschbar, und es sei linkes Vokabular. Hier wie dort blinder Lobpreis der Globalisierung, der Egalisierung, der Flexibilisierung. Hier wie dort Hohn auf „nationale Vorurteile“, „ethnische Differenzen“, „religiöse und kulturelle Tabus“, „traditionale Lebenswelten“.


Wo einer recht hat, hat er eben recht. Das einzige, was die (scheinbar rechten) Wirtschaftsglobalisierer wirklich noch von den (erklärt linken) Sozialglobalisierern unterscheidet, ist tatsächlich allein der Abstand von den Futterkrippen. Die einen sind bereits dran und wollen dran bleiben, die anderen sind noch nicht dran und wollen dran kommen. Man ist aber schon eifrig dabei, auch diese Differenz einzuebnen, das Einkünfte-Niveau der Damen und Herren von Porto Allegre dem Niveau der Davoser Manager und Minister anzupassen. 

Trotzdem läßt sich manches gegen Gauland sagen, denn „die“ Wirtschaft, die in toto links oder rechts sein könnte,  gibt es gar nicht. Was es gibt, sind gewisse Tendenzen, die jeder Art des Wirtschaftens innewohnen, und es gibt Wirtschaftssubjekte, Unternehmer, Manager, Bankiers usw., die solche Tendenzen durch ihr Tun verstärken oder abschwächen, ausnutzen oder ignorieren. Zur Zeit, mag sein, liegt in der sogenannten westlichen Welt der linke Wirtschaftstyp in der Vorhand, der zum Zwecke der Gewinnmaximierung alle kulturellen und nationalen Unterschiede einebnen will. Doch das muß keineswegs so bleiben.

Nach Meinung der in Montreal versammelten ökonomischen „Experten“ gibt es grundsätzlich nicht die geringste Alternative. Die „kapitalistische“ Einebnung und Gleichmacherei wurde als unabwendbares Schicksal hingestellt; sie entspreche nun einmal den inneren Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus, resultiere aus den „globalen Verwertungsinteressen des Kapitals“ und sei „im Rahmen des Systems“ unveränderbar. Jeder Versuch, das zu verschleiern, sei undemokratisch und mithin faschistisch. Stattdessen gelte es, den Kapitalismus bis aufs Messer zu bekämpfen.

Parallel dazu gab es üppig Bilder hungernder Kinder aus Afrika; wer an deren Elend etwas ändern wolle, hieß es, müsse „die Wirtschaft“ dazu zwingen, in größtem Ausmaß Arbeitsplätze aus „Wohlstandsländern“ auszulagern. Kein Wort darüber, daß die Auslagerung längst stattfindet; daß aber nicht afrikanische Kinder davon profitieren, sondern disziplinierte, auch durchaus ordentlich ernährte chinesische oder thailändische Arbeiter- und Funktionärsheere, die zudem keineswegs „global“, sondern strikt national und elitär denken und über den westlichen Gleichheitsfimmel nur lachen. 


Nicht zuletzt die Rede, daß jegliches Kapital aus Wettbewerbsgründen den jeweils billigsten Arbeiter suchen „muß“, ist reiner Mythos. Es gibt nicht „den“ Wettbewerb, sondern es gibt einzelne Wettbewerbsteilnehmer, und die haben sich – wie schon Adam Smith, der Vater allen präzisen Marktdenkens, anmerkte – als anständige  (Christen-)menschen und Patrioten aufzuführen und sich, wie alle anderen auch, an die Regeln der Moral zu halten. Die Moral ist  das wirklich einzige Müssen, das vor ihnen – wie vor allen übrigen Menschen – steht und ihr Handeln bestimmen muß.

Übrigens gibt es in Deutschland nach wie vor wenig Grund, an Moral und Rechtsbewußtsein  führender und erfolgreicher Wirtschaftsteilnehmer generell zu zweifeln. Im Gegenteil, erfolgreiches Wirtschaften unter freien Marktbedingungen setzt Elitetypen voraus, die auch moralisch in sich gefestigt sind. Die legendäre boshafte Bemerkung des ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber über gewisse „moderne“ Wirtschaftsbosse („die wollen in Thailand investieren, aber in Oberbayern Golf spielen“), braucht sich kaum einer anzuziehen.

Wenn heute bei uns die Wirtschaft eher links erscheint, so liegt das weniger an der Wirtschaft selbst als vielmehr an den kulturellen Zuständen im allgemeinen, speziell in der Politik und in den Medien. Dort dominiert zur Zeit eine trübe Melange aus sozialistischem Gleichheitsdenken und antikapitalistischem Phrasengewäsch, deren Genuß einerseits blind macht für eigene Entscheidungsmöglichkeiten, andererseits zu der Einbildung verführt, man könne sich letztlich gegenüber den anderen alles herausnehmen.

Wie dichtete einst Bert Brecht in seinem „Lied von der belebenden Wirkung des Geldes“? „Blicke hinan: Der Schornstein raucht!“ Viel wichtiger wäre es, endlich einmal genau nachzusehen, wer da Rauch erzeugt und was für ein Rauch das überhaupt ist. Wo Rauch ist, ist auch Feuer, sagt man. Doch beileibe nicht jedes Feuer ist produktiv.