© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/16 / 26. August 2016

Die Fronten waren klar
Hinter den Kulissen: Ein ehemaliger FAZ-Redakteur erinnert sich an den Historikerstreit um Ernst Nolte
Konrad Adam

Im Sommer 1986 gab mir der für das Feuilleton zuständige FAZ-Mitherausgeber Joachim Fest einen Text in die Hand, verbunden mit der Frage, ob wir den bringen sollten. Ich brauchte nicht lange, um ja zu sagen. Es war ein Vortrag, den Ernst Nolte ursprünglich bei den Römerberg-Gesprächen in Frankfurt am Main halten sollte, wozu es aber nicht kam, weil die Veranstalter den Historiker wieder ausgeladen hatten.  Daraufhin erschien die nicht gehaltene Rede am 6. Juni 1986 unter dem Titel „Vergangenheit, die nicht vergehen will“ im Feuilleton der FAZ.

Den Text nahmen Noltes Kritiker – allen voran Jürgen Habermas – zum Anlaß für polemische Attacken gegen den Geschichtsdenker. Besonders erzürnten sie Noltes Fragen: „War nicht der ‘Archipel GULag’ ursprünglicher als Auschwitz? War nicht der ‘Klassenmord’ der Bolschewiki das logische und faktische Prius des ‘Rassenmords’ der Nationalsozialisten?“ Wo es dem Berliner Historiker allein ums Verstehen ging, witterten seine Gegner „Revisionismus“. Der sogenannte Historikerstreit nahm seinen Lauf; er zog sich bis ins Frühjahr 1987 hin und führte zur beinahe vollständigen Ausgrenzung Noltes aus dem Diskursbetrieb der Bundesrepublik.

Was mich für Nolte einnahm, war seine Vorliebe für die Ideengeschichte, die auch spekulative Fragen einschloß. In dem mir vorliegenden Text hatte er Max Erwin von Scheubner-Richter erwähnt, einen engen Mitarbeiter Hitlers, der beim Marsch auf die Feldherrenhalle erschossen worden war. Als deutscher Konsul im türkischen Erzerum wurde Scheubner-Richter Zeuge des ersten großen Völkermords im 20. Jahrhundert, der Vernichtung der armenischen Christen. Er unternahm alles, um den Armeniern zu helfen, „aber was waren diese wenigen Menschen gegen den Vernichtungswillen der türkischen Pforte, gegen die wölfische Wildheit der losgelassenen Kurden?“

So zu fragen, ist verdächtig, ja verpönt in einem Land, das es liebt, sich auch für solche Untaten zu entschuldigen, die es nicht begangen hat; und regelrecht verboten, wenn der Mann, der sich dem Morden widersetzt hatte, ein früher Gefolgsmann Adolf Hitlers war. Gerade das aber weckte Noltes Neugier: niemand wisse, was Scheubner-Richter im Zweiten Weltkrieg getan oder unterlassen hätte, aber nur sehr wenig spräche dafür, „daß zwischen ihm und Himmler, ja sogar zwischen ihm und Hitler selbst ein grundlegender Unterschied bestand“.

Das ging den Leuten, die sich selbst gern oben und alle anderen unten sehen wollen, gegen den Strich. Heinz Galinski von der Jüdischen Gemeinde reagierte mit den Worten, „wir“ gäben den Weg zu einer schrankenlosen Geschichtsdiskussion nicht frei; der Philosoph Ernst Tugendhat erklärte kurzerhand, man könne nicht mehr mit, sondern nur noch über Ernst Nolte reden; und Elie Wiesel blies zum Aufruhr gegen die „Viererbande“, bestehend aus Joachim Fest, Klaus Hildebrand, Andreas Hillgruber und Michael Stürmer.

Revisionismus ist allen Dogmatikern verhaßt

Damit waren die Fronten klar. Spekulative Streifzüge durch die Irrgärten der menschlichen Seele sind nichts für Leute, deren Welt in Schwarz und Weiß und Gut und Böse restlos auseinanderfällt. Was die Stunde geschlagen hatte, wurde mir klar, als mir eines Morgens der FAZ-Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki über den Weg lief. Er steuerte auf mich zu, schnellte den rechten Zeigefinger hervor und schleuderte mir nur ein einziges Wort entgegen: „Todfeind!“ Ich hatte gewagt, Nolte beizuspringen, als die Antifa sein Auto angezündet hatte: so viel Eigensinn mußte bestraft werden.

Im Kampf um die Vorherrschaft im herrschaftsfreien Diskurs gab es kein Pardon, dafür aber jede Menge Relativierungs- und Verharmlosungsverbote, beschlossen und verkündet von Habermas und seinem Schulfreund Hans-Ulrich Wehler. Keiner der beiden hat jemals erklärt, wie und warum ein Vergleich zwischen Stalins Gulag und Hitlers Auschwitz auf eine Relativierung oder Verharmlosung hinauslaufen könnte. „Wer vergleicht, entdeckt Unterschiede“ hatte Johannes Gross dazu nur bemerkt – aber das war nichts für die Vertreter der neuen deutschen Dolchstoßlegende, diesmal von links.

In einem hatten die Legendenfreunde aber recht. Nolte selbst hat das eingeräumt, als er den Vorwurf, er wollte die Geschichte umschreiben, im Kern berechtigt nannte. Er habe das aber nicht leichtfertig oder oberflächlich getan, vielmehr in einer Folge von Werken versucht, die Geschichte der letzten zwei Jahrhunderte so zu begreifen, „wie sie vor 1945 nicht begriffen werden konnte“. Das war Revisionismus. Und weil der Revisionismus allen Dogmatikern verhaßt ist, verfiel Ernst Nolte ihrer Fatwa.

Am Ende hat er aber doch gesiegt, denn überholt zu werden, schreibt Max Weber, „ist nicht nur unser aller Schicksal, sondern unser aller Zweck. Wir können nicht arbeiten, ohne zu hoffen, daß andere weiterkommen als wir.“ Dogmatiker wollen das nicht wahrhaben; ihr Gegner war nur zufällig Ernst Nolte. Ihr wahrer Gegner ist die Wissenschaft.