© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/16 / 26. August 2016

Anspruchsvoll
Freie Universität: Erinnerungen an Nolte als Lehrer
Elliot Neaman

Im Herbst 1982 kam ich nach Berlin, um Geschichte und Philosophie zu studieren. Damals war ich politisch links mit einer vagen neomarxistisch-anarchistischen Orientierung eingestellt. Ich trug Palästinensertücher und marschierte auf Friedensdemonstrationen gegen Reagan und Kernwaffen. Hegel und Marx wollte ich im deutschen Original studieren.

An der University of British Columbia, wo ich zuerst studiert hatte, war ich von einem meiner Lehrer – einem Umsiedler aus New York, der in den siebziger Jahren die Vereinigten Staaten verlassen hatte, um der Einberufung in den Vietnamkrieg zu entgehen – in die Geistesgeschichte eingeführt worden. Das Fach Geistesgeschichte hat im deutschen Hochschulwesen kein genaues Äquivalent. Der einzige, der an der Freien Universität etwas Vergleichbares lehrte, war Ernst Nolte. So landete ich also in seinem Seminar über Marx und die Industrielle Revolution.

Nolte war ein fordernder und anspruchsvoller Lehrer. Zunächst war er zu Recht skeptisch über meine Pläne, die Tiefen des deutschen Idealismus ausloten und insbesondere die jungen Hegelianer bewältigen zu wollen. Es war das Thema meiner Magisterarbeit, die er betreuen sollte.

Ich belegte viele Seminare und Vorlesungsreihen bei Nolte und besuchte seine öffentlichen Vorträge. Gut erinnere ich mich noch an einen Vortrag, den er – nur wenige Jahre, bevor der Historikerstreit ausbrach – über Heidegger hielt und in dem er einige Themen sondierte, die 1986 zu einer wilden Kontroverse führen sollten, als Jürgen Habermas Noltes These über die Wurzeln des Holocaust scharf kritisierte.

Im Juli 1984, am 40. Jahrestag des Stauffenberg-Attentats, hatte ich die Ehre, an einer von Nolte und seinen Doktoranden geleiteten Konferenz teilzunehmen. Bei einer von Noltes Vorlesungsreihen über die Geschichte der deutschen politischen Philosophie begegnete ich einer intelligenten Studentin, mit der ich mich anfreundete. Als ich sie fragte, was ihr Vater beruflich tue, sagte sie mir verschämt, er sei Journalist. Es war Franziska Augstein. Wir waren beide Nolte-Fans, auch wenn keiner von uns diese Begeisterung mit unserer immer noch unklaren politisch linken Orientierung so recht abgleichen konnte.

Empfehlungsschreiben fürs Doktorandenprogramm

Als ich im Frühling 1985 Berlin verließ, verfaßte Nolte ein äußerst überzeugendes Empfehlungsschreiben für mich, das, meiner Überzeugung nach, einer der Hauptgründe für meine Aufnahme in das Doktorandenprogramm für Geschichte an der University of California in Berkeley war. In den späten achtziger Jahren fing ich bereits an, mich von der Frankfurter Schule zu lösen, und ich entwickelte ein reges Interesse an der Geschichte des deutschen Konservatismus. Doch erst Jahre später merkte ich, wie stark Noltes Einfluß auf mich als Wissenschaftler und politischer Denker war.

Im Sommer 2013 besuchte ich Nolte, und wir schwelgten in Erinnerungen über die FU der achtziger Jahre. Er war ein Mann mit einer harten Schale, die sich durch die Jahre des Denkens gegen den Strich und des Hinterfragens der Parolen unserer Zeit zwangsläufig gebildet hatte. Aber er hatte auch eine weiche, sogar sentimentale Seite.






Prof. Dr. Elliot Neaman lehrt europäische Geschichte an der University of San Francisco.