© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/16 / 26. August 2016

Realitätsferner Elitenkonsens auf höchster Ebene
Ideologie und Praxis des „interreligiösen Dialogs“ aus Sicht der Forschung: „Erhebliches Konfliktpotential“
Wolfgang Müller

Wer Forschungsprojekte, die „irgendwas mit Islam“ zu tun haben, bei staatlichen Einrichtungen oder großen privaten Stiftungen beantragt, darf seit geraumer Zeit auf hohe Bewilligungsquoten spekulieren. Diesen Schluß legt wenigstens die auf „Verständigung zwischen den Religionen“ konzentrierte Auswahl laufender geistes- und sozialwissenschaftlicher Projekte nahe, die der reichste Wissenschaftsförderer, die vom Steuerzahler finanzierte Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), in seinem im Frühsommer veröffentlichten Jahresbericht 2015 präsentiert.

Tatsächlich geht es bei diesen exemplarischen sechs Projekten aber nicht um Verständigung mit beliebigen Religionen, sondern allein um die Beziehung zum Islam. Und selbst die überwiegend geistesgeschichtlich orientierten Themen verdanken ihre Motivation den von Westeuropas Führungseliten durch ihre Politik der Masseneinwanderung verursachten aktuellen Erschütterungen europäischer Gesellschaften. 

Wenig Dialogbereitschaft seitens der Muslime

Wie es die Leipziger Kultursoziologin Monika Wohlrab-Sahr vom 2015 eingerichteten DFG-Kolleg „Multiple Secularities“ formuliert, seien historische wie gegenwartsnahe Untersuchungen nämlich dadurch motiviert, daß man hoffe, den in der Vormoderne steckengebliebenen Islam „in das Gefüge Europas integrieren“ zu können. Womit die Erwartung einhergehe, „der Islam möge die eigene Tradition historisch-kritisch betrachten“. Also nachholen, was die christlichen Kirchen seit 200 Jahren hinter sich haben – die Aufklärung mitsamt ihrem Verzicht darauf, Politik, Recht und Wissenschaft sowie den übrigen „way of life“ sozialer Kollektive dominieren zu dürfen. Eine wahrlich kühne Erwartung, denn ein bißchen Islam scheint so wenig möglich wie ein bißchen schwanger.

Der Göttinger Sonderforschungsbereich (SFB) „Bildung und Religion in Kulturen des Mittelmeerraums und seiner Umwelt von der Antike bis zum Mittelalter und zum Klassischen Islam“ setzt gleichwohl auf die relativierende Kraft von Bildung. Dabei ist unklar, was der Rückschau auf den mittelalterlichen Glaubenswettstreit zu entnehmen sein soll. Denn damals, so beklagt der SFB-Sprecher, der Theologe Peter Gemeinhardt, habe kein Kleriker und kein gebildeter Laie einer anderen als der eigenen Religion Wahrheit zugestanden. Wenn man wie Gemeinhardt überdies unterstellt, der heutige „interreligiöse Dialog“ sei gerade dadurch gekennzeichnet, auch anderen als der eigenen Religion „Wahrheitsmomente“ zuzubilligen, wäre ein Gang in die durch Intoleranz geprägte Religionsgeschichte, abgesehen von der Vermittlung eher abschreckender Impressionen, sogar vollends entbehrlich.

Daß es jedoch vor allem mit der muslimischen Dialogbereitschaft keineswegs so rosig aussieht, wie Gemeinhardt suggeriert, verschaffte dem Gießener Politologen Helmut Breitmeier 2015 eine DFG-Bewilligung für sein Forschungsprojekt „Der interreligiöse Dialog und die globale Religionsfreiheit“. Obwohl noch im Anfangsstadium seiner Arbeit, dämpft Breitmeier allzu optimistische Hoffnungen, seine Befunde könnten Illusionen der Integrationslobby wissenschaftlich nobilitieren. „Dialog“ werde nicht zwangsläufig zur „friedliebenden Konfliktbearbeitung“ führen. Auch Breitmeier drückt sich gewunden aus, wenn er dabei vom „erheblichen Konfliktpotential“ spricht, das es zwischen „den Religionen“ gäbe. Gemeint ist natürlich der totalitäre Islam, dessen derzeit radikalste Fraktion, den auf Terror und Massenmord spezialisierten „Islamischen Staat“, er als „nahezu dialogunfähig“ einstuft, während ihm wenigstens „ein Teil der islamischen Welt“ noch als „dialogwillig“ vorkommt.

Angesichts dieser unerfreulichen Lage gibt sich Breitmeier trotzdem „ergebnisoffen“, ist zugleich aber realistisch genug, interreligiöse Dialog-Inszenierungen eher als Schaulaufen, als „Elitenkonsens auf höchster Ebene“ zu werten. Ob deren in schwammigem Gutmenschen-Jargon gehaltene Kommuniqués oder die derzeit von einigen Landesregierungen auf Eis gelegten Verträge mit Ditib, dem verlängerten Arm der türkischen Religionsbehörde in Deutschland, Konflikte auch nur entschärfen, ist zweifelhaft. Denn es bleibe fraglich, ob gläubige Massen solchen unverbindlichen „Elitenkonsens“ in die Praxis umsetzen wollen.