© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/16 / 02. September 2016

Eine Frage der Identität
Frankreich: Burka, Burkini – der Streit um Textilstücke erregt die Gemüter
Jürgen Liminski

Kleider machen Leute – oder auch Skandale. Und dabei kommt es, in Frankreich jedenfalls, nicht darauf an, ob es viel oder wenig Kleid ist. Entscheidend ist die Provokation. So war es früher am Strand zuwenig Textil, was für Aufregung sorgte, heute ist es zuviel. Denn als der französische Ingenieur und spätere Modeschöpfer Louis Réard am 18. Juli 1946 den Bikini patentieren ließ, erntete er eine Menge Entrüstung. 

Wer heute in Cannes mit einem Burkini (der muslimischen Variante, deren Textil vom Brustbein bis zum Knie reicht, meist noch mit Kopf-, Arm- und Beinbedeckung) am Strand baden geht, bekommt ein Knöllchen. 38 Euro kostet das Vergnügen. Auch in rund 30 anderen Badeorten, meist an der Côte d’Azur, haben die Bürgermeister den Burkini verboten. Auf Korsika kam es wegen einiger Burkini-Damen zu einer Schlägerei mit  fünf Verletzten und brennenden Autos.

Anti-Burkini-Bürgermeister halten an ihrer Linie fest

Das sommerliche Kleidungsstück beschäftigt auch die Politik. Selbst Premier Manuel Valls nahm Stellung und zeigte Verständnis für die Bürgermeister, „die öffentliches Ärgernis vermeiden wollen“. Ihre Intention sei es, den sozialen Frieden zu schützen und politische Demonstrationen, die die öffentliche Ordnung stören könnten, zu verhindern. 

Zwei seiner Ministerinnen allerdings sprachen sich für den Burkini aus, und der Staatsrat, eine Art oberstes Verwaltungsgericht, in dem allerdings nicht nur Juristen sitzen und der die Regierung in Rechtsfragen berät, hat vergangene  Woche entschieden, daß die Erlasse der Bürgermeister gegen Grundrechte der Republik, in diesem Fall die Religionsfreiheit, verstießen. Und nichts deute darauf hin, so der Staatsrat weiter, daß durch dieses Kleidungsstück öffentliches Ärgernis erregt worden sei. 

Jubel beim Französischen Rat für muslimischen Kult, der Liga für Menschenrechte und dem Verband gegen Islamophobie in Frankreich (CCIF), Protest bei den Bürgermeistern und etlichen Politikern des bürgerlichen und rechten Lagers. 

Die Bürgermeister wollen vorerst an ihrer Entscheidung festhalten, Politiker wie Nicolas Sarkozy und Marine Le Pen fordern ein Gesetz, das den Burkini verbietet. Sie berufen sich auf Artikel 1 der Verfassung der Fünften Republik, der Frankreich unter anderem zu einer laizistischen Republik erklärt, den Gleichheitsgrundsatz postuliert und den Staat zur Durchsetzung der Gleichberechtigung der Geschlechter verpflichtet. Noch im Spätsommer will die Fraktion der Republikaner einen entsprechenden Gesetzentwurf im Parlament einbringen.

Das wird die Regierung Valls in Verlegenheit bringen. Denn ein allgemeines Burkini-Gesetz will Valls nicht erlassen. 

Ein Burka-Gesetz aber gibt es schon. Wer in den Straßen Frankreichs mit Burka oder Niquab, also vollverschleiert Ärgernis erregt, zahlt 150 Euro. Die Mehrheit der Franzosen hält die Vollverschleierung für „ein Symbol des islamischen Extremismus“. 

Dies ist kein Ergebnis der jüngsten Terrorakte. Das Burka-Verbot gibt es seit 2011, ob es Terrorakte verhindert hat, weiß man nicht. Das Verbot ist übrigens rechtens, das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg entschieden.

Der Sinn dieser Maßnahme ist in Frankreich unumstritten. Burkini und vor allem Burka werden verstanden als Instrument der Erniedrigung und Entwürdigung der Frau, als Demonstration und Provokation eines politisch-religiösen Denkens, das der freiheitlichen Verfaßtheit und der Laizität Frankreichs entgegenstehe. 

Es geht für die Franzosen um nationale Identität und Kulturhoheit. Es geht ihnen um die Würde der Frau, um Freiheit gegen totalitäre Versuche, um die Intoleranz der Islamisten. Insofern sind Burka und Burkini für sie gleichermaßen Symbole eines kulturellen Dschihad.

Mehrheit der Franzosen lehnt Zwangskultur ab 

Nun gibt es zwischen Burka und Burkini einen wesentlichen Unterschied: das Gesicht. In Frankreich spielt dieser Unterschied keine Rolle mehr. Der Burkini zeigt das Gesicht, er zeigt aber für die Mehrheit der Franzosen auch eine Absicht jenseits religiöser Praktiken: den politischen Willen, einen Lebensstil des Zwangs in nichtislamischen Gesellschaften durchzusetzen. Das ist eine politische Frage für viele Franzosen, der eigentliche Skandal.