© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/16 / 02. September 2016

Nichts für Nostalgiker
Reise durch Rumäniens Bukowina: Auf die da oben in Bukarest ist niemand gut zu sprechen
Maximilian Seidel

Für manche Nostalgiker der untergegangenen Donaumonarchie oder des Vielvölker-Europa von einst erscheint die Bukowina als Land der Sehnsucht. Rauschende Wälder, weiche, grüne Hügel, kleine Häuser, die sich in die Landschaft schmiegen. Die Spuren des Leids, daß das vergangene Jahrhundert auch diesem gottgesegneten Landstrich nicht erspart hat, sind auch heute noch sichtbar. Armut, Abwanderung, korrupte Ortsgewaltige.

Doch bei dem Stichwort Bukowina, dem Landstrich, zerrissen zwischen der Ukraine und Rumänien, denken viele vor allem an die Lyrikerin Rose Ausländer, an den Ukrainer Ivan Franko oder an Paul Celan, der in Tschernowitz lebte und dichtete, an die ruthenischen Bauern, die diesseits und jenseits der ukrainisch-rumänischen Grenze leben, an die katholischen Polen, die im rumänischen Teil der Bukowina in dem Bergbaudorf Cacica einen Marienwallfahrtsort haben. 

Rumänien geht mit seinem Erbe schändlich um 

Wir unterhalten uns in der neugotischen, schmucken Wallfahrtskirche mit einem Franziskanerpater. Er erzählt bildreich von seinem Orden, den polnischen Wallfahrern und den Rumänen, die sich für die katholische Tradition interessieren. Das Interesse sei in jüngster Zeit stetig größer geworden, aus katholischer, orthodoxer und protestantischer Richtung. 

Die rumänische Bukowina ist nicht nur multiethnisch, sondern auch multikonfessionell. All das fügt sich zu jenem idealen Bild eines vielfältigen, multiethnischen Ostens, der den Reichtum Europas ausmachte. Doch dieses Bild ist geschönt, nicht weil es diesen Reichtum nicht mehr gibt, sondern weil ihm kein politischer Wille entspricht.

Die rumänische Politik schmückt sich mit dem Vielvölkertum ihres Landes, wenn EU-Politiker vorbeischauen. Aber realiter, wie das Beispiel der offiziell dreisprachigen Universität Klausenburg im ebenfalls völkerreichen Siebenbürgen zeigt, ist Bukarest wenig an diesem Reichtum interessiert. 

Die Ungarn wie auch die Deutschen, genauer gesagt die Siebenbürger Sachsen, sind froh, wenn sie ihren kulturellen Winkel irgendwie hegen dürfen. Die bundesdeutsche Seite leitet aus ihrer finanzstarken Förderung keine direkten Forderungen etwa nach einer Ausweitung der deutschsprachigen Lehre ab. Der Trend geht ohnehin in Richtung Englisch als internationaler Wissenschaftssprache. 

Das ist tragisch, denn die jungen rumänischen Studenten, von denen viele mit Deutsch als zweiter Sprache aufwachsen, haben durchaus Interesse. Nur das Angebot ist schmalbrüstig und wird weiter reduziert, aus Mißgunst und Angst, man könne der rumänischen Studienlinie etwas wegnehmen. 

Die ungarische Minderheit hat ebenso das Nachsehen, weil man ihr ganz besonders seit Orbáns Regierungsantritt fortwährend latenten Separatismus unterstellt. Dieser rumänische Nationalismus, der jede auch noch so kleine Minderheit nicht als Bereicherung, als Ausdruck echter europäischer Diversität erkennt, erstickt das, was Rumänien reich und interessant machen könnte.

Die Minderheiten in Siebenbürgen und der Bukowina als Erbteil des Habsburgerreiches, die Hohenzollern-Dynastie, die bis 1947 das Land regierte, werden ebenso ignoriert wie die Schuld negiert wird, die weite Teile der noch heute regierenden Elite in der Zeit des Kommunismus auf sich geladen haben. Um so aggressiver fällt die Propaganda des hohen Rumänentums aus. Protestantische Kirchenburgen, die den deutschen Beitrag zur Geschichte und Kultur des Landes belegen, werden dem Verfall preisgegeben. 

Die Schlösser des ungarischen Adels, die Siebenbürgen ebenso wie die Kirchenburgen schmücken, sind bis heute, 25 Jahre nach der Wende, nicht vollständig restituiert. Die Wälder, die die Natur Siebenbürgens und der rumänischen Bukowina zu einem Rückzugsort des überindustrialisierten Europa, zu einem Anziehungspunkt des europäischen Ökotourismus machen könnten, werden rücksichtslos ausgebeutet, zum Vorteil regionaler Parteifunktionäre und der internationalen Holzindustrie. 

Der Prinz von Wales, der Rumänien immer wieder auf seine Chancen aufmerksam macht, auf seinen kulturellen, baulichen und landschaftlichen Reichtum, und dafür auch eine eigene Stiftung gründete, findet zwar Unterstützung unter vernünftigen Rumänen und Ungarn, ist aber macht- und einflußlos. 

Auf dem Land, in den armseligen Dörfern der Bukowina leben sie alle noch, die Polen, Slowaken, die Roma und Ruthenen. In einem der schmucken, teils grellbunt gestrichenen Häuschen am Wegesrand unterhalte ich mich mit einem älteren Ruthenen. 

Sein Haus ist blitzblank, sein großer Stolz, worauf er immer wieder hinweist. Bukarest sei weit, meint er. Von dort erwarte er sich nichts. Was er habe, hätte er mit seiner eigenen Hände Arbeit geschaffen – und bietet mir reichlich zu essen an. Wer sich auf die in Bukarest verlasse, der könne sich gleich begraben lassen, meint er, weniger erbost als desillusioniert. 

„Verantwortungslose Politklasse“ 

Ähnlich, aber subtiler äußert sich die Äbtissin eines der grandiosen orthodoxen Klöster in der Bukowina. Farbenprächtig, figuren- und symbolreich sind die schmalen Kirchen außen und innen bemalt. Die kunstgeschichtlich ungeheuer beschlagene Äbtissin schildert mehrsprachig den Touristen die Bilderwelt des mittelalterlichen Rumänien. Wer wirtschaften lernen wolle, der könne das von den Klöstern lernen. Aber Tugenden stünden ja momentan nicht unbedingt ganz oben auf der politischen Tagesordnung, fügt sie augenzwinkernd hinzu. 

Der Unmut hat ein konkretes Objekt: eine oberflächliche, materialistische Elite, die vielfach den Ton angibt. Deren höchstes Ideal im Besitz eines übermotorisierten Geländewagens besteht, der für die kleinteiligen alten Städte und Dörfer viel zu groß ist. Ein boshafter Spruch besagt, diese sogenannte Elite hätte oft „mehr Hubraum als Wohnraum“. Durch die kleinen Dörfer der Bukowina sieht man sie meist mit Bukarester Kennzeichen brausen. 

Der ehemalige rumänische Kickbox-Star Daniel Ghita verzichtet bewußt auf diese Statussymbole, wie er sagt. Er wolle sich dafür einsetzen, daß mit der Ausbeutung Rumäniens durch eine verantwortungslose Politklasse endlich Schluß sei. Die Welt solle erfahren, daß sich eine Reise in dieses Land im Windschatten der Aufmerksamkeit lohne. 

In diesem Windschatten leben auch die rumänischen Ruthenen, die sich selbst als „vergessenes Volk“ bezeichnen. Sie leben vor allem in den Siebenbürger Landkreisen Sathmar und Maramures, und in der Bukowina. Sie spaltet ein Streit, der seit der Ukraine-Krise schärfer geworden ist. Sind die Bewohner, die im Nordosten Rumäniens leben, Ukrainer oder Ruthenen, ihre Sprache Ukrainisch oder Ruthenisch? Gegenwind bekommen sie nicht nur von rumänischer Seite, sondern auch vom ukrainischen Staat. Seitdem man sich des russischen Aggressors zu erwehren habe, brauche man keine unnötige, künstliche Spaltung der „einen ukrainischen Nation“ durch ein paar selbsternannte „ruthenische“ Aktivisten. 

In solchen Details spiegelt sich ein Problem, das das größere Rumänien seit dem Ersten Weltkrieg bis heute nicht gelöst hat. Was tun mit einem Vielvölkerstaat, den man geerbt hat, mit dem man sich aber nicht identifizieren mag? 

Wandert man über die Straßen der Bukowina, sieht man immer wieder Störche auf Masten brüten. Alte Klöster aus dem späten Mittelalter prunken mit beeindruckenden Wandmalereien. Sie sind gut besucht. Auch die Eintrittszahlen in die Frauenorden, die dort zu Hause sind, sind in jüngster Zeit gestiegen. Das mag auch mit dem Überdruß gerade der jungen Generation an einer Gesellschaft zu tun haben, die ihr Erbe vergißt. 

Es gibt genug junge Rumänen, die den kulturellen Reichtum ihres Landes kennen und schätzen, ob er nun rumänisch, ungarisch oder deutsch geprägt ist. Diese Generation verliert aber zusehends die Hoffnung, daß eine korrupte, kulturlose und unreflektiert nationalistische Elite davon noch viel übriglassen wird. Es ist keine Neuigkeit, daß gerade die jungen, aufstrebenden, engagierten Rumänen, soweit ihnen das möglich ist, das Land verlassen.