© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/16 / 02. September 2016

Deutungsmuster, die verbindlich werden
Rezension: Ein Insider der Öffentlich-Rechtlichen geißelt die alltägliche Gehirnwäsche von ARD und ZDF
Ronald Berthold

Ein ARD-Journalist, der der „Tagesthemen“-Moderatorin Caren Miosga ein „schlichtes Weltbild“ attestiert? Der verstehen kann, wenn die Menschen auf die Straße gehen und „Lügenpresse“ rufen? Der analysiert, daß die Leitmedien manipulieren, indem sie mit zweierlei Maß messen und Nachrichten absichtlich unterdrücken? Gibt’s nicht? Gibt’s doch!

Professor Ulrich Teusch hat darüber ein Buch geschrieben und es „Lückenpresse“ genannt. Es erscheint heute und ist die bisher treffendste Analyse zu den Ursachen der Glaubwürdigkeitskrise der Medien. Besonders überraschend: Das Werk kommt sozusagen aus der „Lückenpresse“ selbst. Teusch ist seit vielen Jahren Mitarbeiter des ARD-Hörfunks und sitzt damit im Auge des Hurrikans. Erst 2013 erhielt er für einen SWR-Beitrag „Über Lügen in der Politik“ den Roman-Herzog-Medienpreis.

Illusionen gibt sich Teusch nicht mehr hin. Einen Weg, wie der etablierte Journalismus seine Glaubwürdigkeit zurückgewinnen könnte, zeigt das Buch nicht auf. Stattdessen enttarnt der Autor die Strukturen, in denen die Redakteure gefangen seien. Seine Kernthese lautet, drei unheilvolle Komponenten spielten zusammen, um den Leser beziehungsweise Zuhörer oder Zuschauer – von Teusch „Rezipient“ genannt – zu täuschen: Nachrichten würden „in ganz bestimmter Weise gewichtet“, zweitens „gezielt unterdrückt“ und drittens in „tendenziöser Weise bewertet“; es werde mit „zweierlei Maß gemessen“.

„Strukturell verankert     und interessengeleitet“

Diese Merkmale hingen miteinander zusammen und verstärkten sich gegenseitig, hat der 1958 geborene Journalist erkannt. Aus seiner Sicht seien diese Phänomene „strukturell verankert und interessengeleitet“. Den wissenschaftlichen Blick des habilitierten Politikwissenschaftlers kann Teusch nicht verstecken, als er über diese Mechanismen schreibt: „Wenn sie auf bestimmten Themenbereichen lange genug und mit ausreichender Intensität wirken, entstehen dominante Narrative, also große journalistische Erzählungen oder Deutungsmuster, die für den Mainstream quasi-verbindlich werden und aus denen er sich nur auf Kosten eines beträchtlichen Glaubwürdigkeitsverlustes befreien kann.“

Der Leser lernt, daß er den Medien mißtrauen sollte

Ansonsten bedient sich der Autor einer sehr verständlichen Sprache und wendet sich augenscheinlich weniger an seine Kollegen als an die Medienkonsumenten. Dort dürfte er dem, was viele über die Berichterstattung in den Öffentlich-Rechtlichen und den großen Printmedien intuitiv spüren, ein Erklärungsmuster geben: „Aha, deswegen ist das so.“ Insofern darf das Buch als Aufforderung verstanden werden, den Medien zu mißtrauen.

„Lückenpresse“ ist von erstaunlicher Aktualität geprägt. Selbst der sommerliche Aufreger der Frankfurter Allgemeinen im Umgang mit einem Hintergrundgespräch findet bereits seinen Niederschlag. Kurz vor der Fußball-Europameisterschaft unterstellte das früher konservative Blatt dem stellvertretenden AfD-Vorsitzenden Alexander Gauland, Nationalspieler Jérôme Boateng „beleidigt“ zu haben: „Nicht Gauland, mit dem mich nichts verbindet, hat hier einen Skandal verursacht, sondern es waren die verantwortlichen Journalisten und ihre Zeitung“, formuliert Teusch. 

Die Gauland-Boateng-   Kontroverse wird entlarvt

Die Aussage hätte durch „zwei, drei sachliche Nachfragen jegliche Brisanz“ verlieren können. Teuschs kurze Zusammenfassung: „So machen Mainstreamjournalisten Mainstreampolitik.“ Bliebe zu ergänzen, der gesamte journalistische Mainstream übernahm diese Geschichte, so daß diese eine riesige Wirkung erzielte. Schönheitsfehler: Sie war nicht wahr, sondern die interessengeleitete Propaganda gegen eine unliebsame Partei.

Apropos Propaganda und Politik statt Berichterstattung: Zum Ende seines Buches hat der Autor wenig Hoffnungsvolles zu bieten. Aus seiner Sicht müßten sich die Konsumenten mit Manipulation, einseitiger Gewichtung und dem Unterdrücken von Nachrichten abfinden. Er erwarte nicht, daß der Mainstreamjournalismus sich ändere, aus seinen Fehlern und Versäumnissen lerne – oder lernen dürfe: „Er wird so weitermachen wie bisher, wahrscheinlich in verschärfter Form.“ Er werde weiterhin „gelegentlich Kampagnen fahren oder sich gar für handfeste Propaganda mißbrauchen lassen“.

Teusch nimmt auf den gesamten 210 Textseiten kein Blatt vor den Mund und hat für jemanden, der wirtschaftlich von einem Mainstreammedium abhängig ist, ein wirklich mutiges Buch geschrieben. Insofern liest sich auch seine Auseinandersetzung mit dem Flaggschiff seines Arbeitgebers, der „Tagesschau“, hochinteressant. Er bezieht sich auf die Kritik zweier früherer Redakteure der Nachrichtensendung und kann nicht verstehen, warum diese nicht ernstgenommen werde. Der Autor regt sogar ein Fernsehstreitgespräch zwischen dem „Tagesschau“-Chef und „einem früheren Redakteur, dem die ganze Richtung nicht paßt“, an. Das wäre in der Tat ein Zeichen von Offenheit – ist aber leider auch genauso ausgeschlossen.