© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/16 / 02. September 2016

Der Staat macht sich aus dem Staub
Michael Wolffsohn über den fahrlässigen Umgang mit der Forderung nach Zivilcourage
Wolfgang Kaufmann

Mittlerweile ist es Usus unter den Politikern hierzulande, mehr „Zivilcourage“ von uns Bürgern zu verlangen – insbesondere natürlich, wenn es darum geht, „Gesicht gegen Rechts“ zu zeigen. Dies kommt für Michael Wolffsohn, früher Professor für Neuere Geschichte an der Bundeswehruniversität München, einer „Bankrotterklärung“ erster Güte mit einem „Hauch von Zivilisationsbruch“ gleich. Denn immerhin verzichte der Staat hiermit auf sein Gewaltmonopol, weil die tatsächlich gelebte Zivilcourage de facto auf Selbstjustiz hinauslaufe. 

Doch damit nicht genug! Meist falle der Staat den couragierten Bürgern auch noch in den Rücken, wenn die das Recht tatsächlich einmal in ihre Hände nähmen, weil die Polizei durch Abwesenheit oder Inkompetenz glänze. Außerdem entpuppe sich der Aufruf zur Zivilcourage „als geradezu lebensgefährdende Mogelpackung“. Wenn der in der Regel entwaffnete, also weitgehend wehrlose Bürger plötzlich versuche, die innere Sicherheit zu verteidigen, dann könne dies leicht mit seinem Tod enden – der Fall Dominik Brunner 2009 in München hat das dokumentiert. Also riskiere der Staat unser Leben, wenn er uns dazu ermuntere, in Vertretung der Sicherheitsorgane zu agieren. Das gelte besonders im Kampf gegen die Organisierte Kriminalität und Terroristen. Kurzum: Das Loblied des Staates auf die Zivilcourage ist „ein Alarmsignal“ – weil Hinweis darauf, daß er seine ureigensten Aufgaben, für die er immerhin reichlich Steuern kassiere, zu delegieren gedenke.

Pauschale Ressentiments gegen „Rechts“ 

Allerdings gibt es etwas, was Wolff-sohn noch größere Sorgen bereitet, und das ist der markige, immer wieder gern nachgeplapperte Spruch von Bundeskanzler Gerhard Schröder vom 4. Oktober 2000, angesichts der rechtsradikalen Gewalt müsse nun aber ein „Aufstand der Anständigen“ in Deutschland losbrechen. In letzter Konsequenz habe der damalige Regierungschef hier nichts anderes getan, als zum Bürgerkrieg aufzurufen, was an Torheit und politischer Verantwortungslosigkeit kaum mehr zu überbieten sei. Und da hat Wolffsohn zweifellos recht – ganz abgesehen davon natürlich, daß der Brandanschlag auf die Düsseldorfer Synagoge, deretwegen sich Schröder derart echauffierte, gar nicht von Neonazis, sondern von zwei Arabern mit Haß auf Israel begangen worden war.

Hingegen liegt der „deutsch-jüdische Patriot in der Tradition der Emanzipation“ – so die Selbstcharakterisierung des Historikers – an anderen Stellen seines Buches falsch, weil er sich dort wie weiland Kanzler Schröder auch zu Übertreibungen und Ressentiments gegen „Rechts“ hinreißen läßt. So verteilt Wolffsohn permanent Seitenhiebe gegen die AfD und Pegida, wobei er beide Gruppierungen pauschal als „nationalistisch-fremdenfeindlich“ bezeichnet. Ebenso unreflektiert wirken die Ausführungen über den „Terror durch Brandanschläge auf Flüchtlingsheime oder Migrantenunterkünfte“, in denen jeder Hinweis darauf fehlt, wie viele der Brände bis heute ungeklärt sind beziehungsweise nachweislich von den Asylanten selbst gelegt wurden.

Desgleichen geht es sehr an der Realität vorbei, Heidenau in Sachsen zur „Chiffre für jene Brutalitäten“ zu stilisieren. Hier hat schließlich gar nichts gebrannt – außer vielleicht den Augen derjenigen Einwohner von Heidenau, welche die Zivilcourage hatten, dagegen zu protestieren, daß man ihnen bei Nacht und Nebel 600 „Flüchtlinge“ in den Ort setzte, und dafür von der Polizei Pfefferspray verpaßt bekamen. Aber nein, in diesem Falle soll es sich verbieten, von Zivilcourage zu sprechen, denn „ohne Zivilität keine Zivilcourage“, meint Wolffsohn. Und genau diese „Zivilität“ fehle den Sachsen mit ihrer arroganten Parole „Wir sind das Pack!“ und dem dreisten Auspfeifen der Bundeskanzlerin bei ihrem Besuch vor Ort. Dabei steht nirgendwo geschrieben, daß der Mut der Wehrlosen – und wehrlos waren die Heidenauer sowohl gegen den hier ausnahmsweise mal energisch auftretenden Staat und dessen Polizei als auch gegen die bald anrückenden Antifa-Horden – unbedingt mit tadellosen Umgangsformen einhergehen müsse. Diese Forderung wirkt doch recht elitär.

Wolffsohns Streitschrift zum gegenwärtigen Staatsversagen weist also Licht und Schatten auf: Sie ist brillant in ihrer schonungslosen Entlarvung der wahren Bedeutung des Rufes nach mehr Zivilcourage, gerät dann aber ins Polemische und Parteiische, wenn es um die Charakterisierung des politischen Spektrums in Deutschland geht.

Michael Wolffsohn: Zivilcourage. Wie der Staat seine Bürger im Stich läßt. dtv Verlagsgesellschaft, München 2016, broschiert, 94 Seiten, 7,90 Euro