© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/16 / 09. September 2016

Sibylle Schmidt. Die ehemalige SPD-Politikerin tritt bei der Wahl in Berlin für die AfD an
Die Alternative
Ronald Berthold

Der Schritt von Sibylle Schmidt muß ein echter Schock für die linke Berliner Schickeria gewesen sein: Die früher als „autonom“ geltende, hervorragend mit der Punkszene vernetzte Kreuzberger Event-Managerin kandidiert bei der Berliner Abgeordnetenhauswahl am 18. September für die AfD. Einst startete die heute 52jährige beachtete Off-Projekte, sammelte für die taz-Genossenschaft in einem Vierteljahr rund eine Million Mark und organisierte noch kurz vor dem Fall der Mauer ein antifaschistisches Festival. Ihre alternativen Clubs waren im Berliner linken Milieu legendär und essentieller Teil der Subkultur.

Das Wort „alternativ“ hatte damals noch einen anderen Klang, und niemand wäre auf die Idee gekommen, damit eine rechtskonservative Partei in Verbindung zu bringen. Die Flüchtlingspolitik, die sie als „aus dem Ruder gelaufene Facebook-Party“ bezeichnet und „der Mut, Sprechverbote zu durchbrechen“, haben sie zur AfD geführt, sagt sie der JUNGEN FREIHEIT. Noch immer sei sie eine „politische Aktivistin“. Nachts klebt sie gemeinsam mit ihrem aus Südamerika stammenden Lebensgefährten in ihrem geliebten Heimatkiez Kreuzberg Wahlplakate. Dieser werde dabei schon mal gefragt, ob er Moslem sei. Schmidt lacht, wenn sie davon erzählt, und findet es herrlich, Klischees auf den Kopf zu stellen.

Wer in alten Szenezeitschriften blättert, in der Sibylle Schmidt als Säulenheilige gefeiert wird, gewinnt den Eindruck, daß ihr damals nicht immer richtig zugehört wurde. Der Kreuzberger Chronik sagte sie schon vor elf Jahren: „Die Political Correctness der 68er muß überarbeitet werden.“ Damit meinte sie, so das Blatt, „daß der ‘verkrampfte Umgang’ mit ‘Menschen aus anderen Ländern’ aufhören sollte“. Auch ein anderer Satz, der Sprengstoff barg, sorgte nicht für einen Aufschrei: „Das beseelte Grinsen, das manche Alternative überfällt, wenn es um Multikulti und türkische Migranten geht, sollte durch kritisches Verständnis ersetzt werden.“

Heute zeigen sich viele Weggefährten vom „Gesinnungswandel“ Schmidts überrascht: Der sei ihr lange „nicht aufgefallen“, sagt etwa die Landesvorsitzende der SPD-Selbständigenvereinigung, Angelika Syring. Bei den Sozialdemokraten hatte sich die Betriebswirtin in den vergangenen 16 Jahren engagiert. Vielleicht aber fand der „Gesinnungswandel“ ja beiderseits statt. Über islamistischen Terror und die illegale Einwanderung habe man in der Partei, in der sie drei Ämter innehatte, nicht reden können, ärgert sich Schmidt. Es sei immer nur um „Hetze gegen AfD und Pegida“ gegangen. Dann trat sie aus.

Auf der AfD-Liste kandidieren „toughe Leute, die den Mittelstand repräsentieren und perfekt zu jedem einzelnen Bezirk passen“, schwärmt sie. Beitreten wolle sie aber erst einmal nicht: „Ich habe doch auch drei Kinder und war nie verheiratet.“ Ungebunden zu sein, so Schmidt, sei doch etwas Schönes.