© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/16 / 09. September 2016

„Schlimmer als der Marxismus“
Kontroverse um Aktienfonds: Ist es besser, passiv oder aktiv zu investieren? Der Streit geht in die nächste Runde
Thomas Kirchner

Passiv in Aktienindizes zu investieren gewinnt immer mehr Anhänger unter Investoren. Zugrunde liegt eine einleuchtende Einsicht: Wenn ein Anleger besser abschneidet als der Durchschnitt, muß zwangsweise ein anderer Anleger schlechter abschneiden. In der Summe werden alle Anleger genauso gut oder schlecht fahren wie der Markt insgesamt. Warum also für teure Fondsmanager zahlen, wenn man mechanisch zu minimalen Kosten in einem Indexfonds investieren kann? Im Schnitt sollten Anleger am besten abschneiden, wenn sie niedrige Kosten haben.

Mit dieser Idee im Kopf gründete John Bogle im Jahr 1974 den ersten Indexfonds, den Vanguard 500 Index Fonds, der den amerikanischen Leitindex S&P 500 mit geringen Kosten abbildet. Vanguard wuchs durch diese Billigstrategie zu einer der größten Fondsgesellschaften, bis eine noch billigere Konkurrenz auf den Markt strömte: börsennotierte Fonds, sogenannte Exchange Traded Funds (ETF). Durch sie stiegen Anbieter wie die jetzige Nummer eins, Blackrock, State Street und auch die Deutsche Bank zu den größten Vermögensverwaltern der Welt auf. Im Gegensatz zu traditionellen Indexfonds werden ETFs an der Börse gehandelt und nicht nur zum Tagesschlußkurs. Ihrer Einfachheit und niedrigen Kosten wegen erfreuen sie sich hoher Popularität. Es wird gemunkelt, daß der Staatsfonds Singapurs einen erheblichen Teil seines Vermögens in solchen ETFs investiert hat und durch geschicktes Ausnutzen von Wertpapierleihe unterm Strich nicht nur keine Verwaltungskosten zahlt, sondern sogar noch Gebühren verdient.

Doch wie so häufig treten Probleme auf, wenn eine gute Idee allzu beliebt wird. Auch beim passiven Investieren wird irgendwann dieser Punkt erreicht. Wer in einen Index investiert, kauft Aktien nicht nach fundamentalen Gesichtspunkten, sondern lediglich nach der Gewichtung, die diese Aktie im Index hat. Die Gewichtung wird in regelmäßigen Abständen vom Indexkomitee des jeweiligen Anbieters festgelegt. Das Komitee wiederum beobachtet die vom Markt bestimmte Kapitalisierung der Unternehmen, nach der es die Gewichtungen festlegt. Dies geschieht unter der Annahme, daß der Markt effizient ist und der fundamentale Unternehmenswert im Aktienkurs reflektiert wird. Doch daraus resultiert ein Paradox: Wenn alle Anleger passiv in den Index investieren, gibt es keinen Markt mehr, durch den ein effizienter Aktienkurs gefunden werden kann. Das Indexkomitee wird dann zum Politbüro, das Aktienkurse relativ zueinander festlegen muß, während das Gesamtniveau des Markts von den Zu- und Abflüssen bestimmt wird.

Geht die Bank pleite, ist der Derivate-Fonds wertlos

Kritiker behaupten, der Punkt sei schon heute erreicht, an dem die Märkte nicht mehr funktionieren, weil bereits mehr als ein Drittel des weltweit angelegten Kapitals passiv investiert wird. Manchen gilt die gestiege Korrelation von Aktien zueinander als Beweis für die negativen Auswirkungen des Indizierens. Doch die gestiegene Korrelation könnte auch Folge der Geldschwemme sein, mit der Zentralbanken die Märkte überfluten und durch die das Aktienniveau insgesamt steigt, während gleichzeitig Leerverkäufe angesichts des starken Aufwärtstrends zurückgehen, wodurch weniger zwischen guten und schlechten Unternehmen differenziert wird.

Die Gewichtung nach Marktkapitalisierung ist ebenfalls nicht ohne Probleme. Sie führt dazu, daß Anleger Unternehmen übergewichten, die bereits ein hohes Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) aufweisen. Dadurch werden diese Unternehmen noch teurer, während gleichzeitig die Gewichtung von günstig bewerteten Firmen sinkt. Dieses Problem versucht Rob Arnott hat mit seiner Firma Wisdom Tree zu umgehen, indem er nach fundamentalen Kriterien wie Umsatz gewichtet. Von Theoretikern wurde dieser Ansatz anfangs stark angefeindet, inzwischen besetzt er aber eine expandierende Nische.

Noch problematischer als im Aktienmarkt sind Rentenindizes. Dort richtet sich die Gewichtung nach der Höhe des Schuldenstands eines Unternehmens, die häufig im umgekehrten Verhältnis zur Bonität steht. So hat beispielsweise die hochverschuldete halbstaatliche brasilianische Ölfirma Petrobras eine hohe Gewichtung in Rentenindizes für aufstrebende Volkswirtschaften.

Die Problematik des passiven Indizierens ist vielen großen institutionellen Anlegern wohl bekannt. Sie fahren zweigleisig: einerseits investieren sie passiv, um Kosten zu sparen. Andererseits investieren sie in Hedgefonds und andere aktive Strategien, wodurch sie Ineffizienzen ausnutzen, die durch die Indizierung überhaupt erst entstehen.

Manche Anleger, die von der Idee passiven Investierens überzeugt sind, gehen jedoch mit dem Erwerb eines ETFs ungewollte Risiken ein. Gerade in Europa dienen manche ETFs der Finanzierung des Emissionshauses und bilden den Index nur über Derivate nach. Geht die Bank pleite, ist der Fonds wertlos.

Fest steht: Die Debatte zwischen aktiven und passiven Investitionen hat eine neue Phase erreicht. Jahrelang waren aktive Strategien in der Defensive, weil die Mehrzahl der Manager durch ihre hohen Kosten schlechtere Renditen als der Marktindex erreichten. Doch langsam setzt sich die Einsicht durch, daß Märkte ganz ohne aktive Vermögensverwalter nicht funktionieren können. Seinen vorläufigen Höhepunkt erreichte der Streit, als ein provokanter Analyst des Investmenthauses Bernstein passives Investieren als „schlimmer als Marxismus“ bezeichnete. Der Streit hat den vornehmen akademischen Diskurs verlassen und ist auf Boulevardniveau angekommen.






Thomas Kirchner studierte Ökonomie in London, Paris und Chicago und arbeitete für die Banken BNP und Fannie Mae. Seit 2003 ist er Fondsmanager in New York.