© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/16 / 09. September 2016

Kampf um die barocke Mitte
Stadtgestaltung Potsdam: Konflikte zwischen alten Eliten aus DDR-Zeiten und dem neuen Bürgertum
Peter Möller

Es ist nicht nur eine Geschmacksfrage, sondern eine Glaubensfrage. Für die einen ist der Betonkeil, der sich zwischen Stadtschloß und Nikolaikirche auf Potsdams Alten Markt schiebt, ein unerträgliches architektonisches Ärgernis und ein Hindernis auf der letzten Etappe der bereits weit fortgeschrittenen Stadtreparatur. Für die anderen ist das aus den siebziger Jahren stammende heruntergekommene Gebäude der Fachhochschule ein Stück DDR-Geschichte und ein Symbol des Widerstandes gegen die von ihnen abgelehnte Rekonstruktion der barocken Potsdamer Mitte.

 Doch es geht bei dem Streit, der nun vermutlich sogar die Gerichte beschäftigen wird, nicht allein um Architektur. Die Konfliktlinien verlaufen auch zwischen den alten Eliten aus DDR-Zeiten und dem neuen Bürgertum der Stadt. Wie kaum eine andere Stadt im Osten hat die einstige SED-Hochburg Potsdam aufgrund der Nähe zu Berlin und der zahlreichen begehrten Wassergrundstücke die „Reichen und Schönen“ angelockt. Darunter sind mit Günther Jauch, Friede Springer, Springer-Chef Mathias Döpfner und Bild-Herausgeber Kai Diekmann zahlreiche Medienvertreter. Viele von ihnen, allen voran Jauch, haben sich öffentlichkeitswirksam für den Wiederaufbau beziehungsweise den Erhalt der Potsdamer Altstadt engagiert. Von manchen Alteingesessenen in Potsdam wurde dieses Engagement von Anfang an mißtrauisch beäugt.

Dennoch ist das Potsdamer Zentrum rund um den Alten Markt in den vergangenen Jahren vor allem dank der rührigen Bürgerinitiative „Mitteschön!“ zu großen Teilen wiedererstanden. Am Ende der DDR waren als Folge des schweren Luftangriffs auf Potsdam im April 1945 und der SED-Abrißorgie im Dienste der „sozialistischen Stadt“ vom ehemals schönsten Platz Potsdams nur noch die imposante Nikolaikirche Karl Friedrich Schinkels, das alte Rathaus und das benachbarte Knobelsdorffhaus übriggeblieben. Der Rest bestand aus einigen DDR-Wohnblocks, dem Gebäude der Fachhochschule – und ganz viel märkischem Sand.

Doch in den zurückliegenden fünf Jahren hat sich das Bild dramatisch verändert. Wer jetzt, wie die zahlreichen Touristen, die für einen Tagesausflug mit dem Zug aus Berlin kommen, vom Potsdamer Hauptbahnhof auf der Langen Brücke über die Havel Richtung Stadt geht, läuft wieder auf den mächtigen Bau des wiederaufgebauten Stadtschlosses zu. Seit Anfang 2014 tagt hinter den barocken Mauern in zartem Rosa der Landtag von Brandenburg. Das im Inneren bis auf das Treppenhaus modern gestaltete Schloß, dessen Ruine 1960 vom SED-Regime gesprengt worden war, ist der Dreh- und Angelpunkt der nach Dresden vielleicht wichtigsten Stadtreparatur der vergangenen 20 Jahre. Es macht Potsdams zuvor uferlosen Alten Markt erst wieder zu einem städtischen Platz.

Auch das Umfeld des Schlosses ist zumindest zur Havel hin wieder architektonisch ansprechend gestaltet. Die Humboldtstraße, die zwischen Schloß und Havel zum Alten Markt führt, wird von einigen zurückhaltenden Neubauten und zwei rekonstruierten Barock-Palais gesäumt.

Höhepunkt ist jedoch das direkt am Alten Markt gelegene Palais Barberini. Mit seiner zurückhaltenden Eleganz stiehlt der 1771/72 nach Plänen Carl von Gontards geschaffene Barockbau sogar dem Schloß die Schau. Kehrt man dem vom Software-Unternehmer Hasso Plattner als Museum für seine Kunstsammlung wiederaufgebauten Palais den Rücken, geht der Blick über den Platz zum vom Fortunaportal des Schlosses und der Nikolaikirche eingerahmten Bau der Fachhochschule. An diesem kantigen Stück DDR-Architektur könnte die Vollendung der Rekonstruktion des Zentrums der einstigen preußischen Residenzstadt nun kurz vor dem Ziel noch scheitern.

Damit droht dem Alten Markt das Schicksal der Potsdamer Garnisonkirche. Über den Wiederaufbau des berühmten Barockbaus, dessen Ruine ebenfalls vom SED-Regime abgeräumt worden war, wird bereits seit zwanzig Jahren gestritten. Zunächst schien auch dieses Projekt auf einem guten Weg, und 2005 wurde mit einer feierlichen Zeremonie sogar der Grundstein für den Turm gelegt. Doch seitdem wurde nicht gebaut, sondern diskutiert. Derzeit sieht es so aus, als werde lediglich der Turm in seiner historischen Form aufgebaut. Das Kirchenschiff könnte zwar später folgen, allerdings ausgerechnet auf Verlangen der Evangelischen Kirche nicht in seiner historischen Form. Damit solle an den „Bruch“ der Geschichte und den „Tag von Potsdam“ erinnert werden, heißt es zur Begründung.

Am Alten Markt schien die Sache dagegen bis Anfang des Jahres klar. Nach den Plänen der Stadt sollen das Gebäude der Fachhochschule und ein hinter der Nikolaikirche gelegener maroder Plattenbau abgerissen werden. Gleiches gilt perspektivisch für das auf der anderen Seite des Schlosses gelegene Mercure-Hotel. Das 17stöckige Hochhaus war von den DDR-Stadtplanern als städtebauliches Ausrufezeichen quasi als Ersatz für das abgeräumte Stadtschloß in den einstigen Lustgarten gesetzt worden.

Nun stehen sich die beiden Bauten gegenseitig im Wege. Während an der Stelle des Hotels eine Wiese entstehen soll, ist für die durch die Abrisse frei gewordenen Flächen an Schloß und Nicolaikirche vorgesehen, die alten rücksichtslos überbauten Straßenverläufe wiederherzustellen. Die geplante kleinteilige Bebauung soll sich an den historischen Vorbildern orientieren, bei einigen Häusern ist die Rekonstruktion der Fassade festgeschrieben. Mit dem Wiederaufbau dieses historischen Quartiers würde nicht nur der „neue“ Alte Markt komplettiert. Zugleich würde das bislang relativ isoliert daliegende Viertel um das Stadtschloß wieder baulich und räumlich mit den restlichen erhaltenen historischen Straßenzügen Potsdams verbunden werden.

Doch die gut organisierten DDR-Nostalgiker haben mit ihrer Initiative „Potsdamer Mitte neu denken“ in den vergangenen Monaten deutlich an Boden gewonnen. Anfang April begann der Verein Unterschriften für ein Bürgerbegehren gegen den Abriß des FH-Gebäudes, des Mercure-Hotels und des Plattenbaus sowie gegen den angeblich drohenden „Ausverkauf“ der Potsdamer Mitte zu sammeln. Mit Erfolg. Innerhalb weniger Wochen unterschrieben 14.742 Potsdamer. Damit wurde das erforderliche Quorum für ein Bürgerbegehren erreicht.

Nun müßte sich eigentlich die Stadtverordnetenversammlung, die mehrheitlich hinter der Rekonstruktion der historischen Mitte steht, mit den Forderungen der Initiative befassen – eine Ablehnung des Bürgerbegehrens, die automatisch einen Bürgerentscheid nach sich gezogen hätte, galt daher als wahrscheinlich. Doch in der vergangenen Woche erklärte die Stadt das Bürgerbegehren nach einer rechtlichen Prüfung überraschend für ungültig. Begründung: Die Initiative erwecke unter anderem den Eindruck, als könnte mit dem Bürgerbegehren der Erhalt der drei Gebäude erreicht werden. Das sei aber nicht möglich, da sich gar nicht alle betreffenden Grundstücke in städtischer Hand befänden. Die Initiatoren sehen das natürlich anders und kündigten an, juristisch gegen die Entscheidung der Stadt vorzugehen.

So zugespitzt die Frontstellungen im Ringen um die Potsdamer Mitte derzeit auch erscheinen: Eigentlich handelt es sich dabei um Rückzugsgefechte. Bei genauerem Hinsehen haben beide Seiten bereits Kompromißsignale ausgesendet. So könnten sich die Befürworter der Stadtreparatur durchaus längerfristig mit dem Mercure-Hotel arrangieren, wenn dafür die Fachhochschule verschwindet. Von seiten der Abrißgegner wiederum heißt es, ein Rückbau des direkt am Alten Markt gelegenen Gebäudeteils der Fachhochschule sei vorstellbar, wenn dafür der Rest des Gebäudes erhalten bliebe. Die Wiederaufbaupläne für die historischen Quartiere könnten in diesem Fall mit einigen Abstrichen trotzdem umgesetzt werden, argumentieren einige Abrißgegner. Vor allem die für den Gesamteindruck wichtigen Gebäude direkt an Schloß und Nikolaikirche könnten wiederaufgebaut werden. Doch die Stadt will sich auf diesen Kompromißvorschlag, der auch als Zeichen der Schwäche der DDR-Nostalgiker interpretiert werden kann, nicht einlassen.

Sollte es daher doch noch zum Bürgerentscheid kommen, wird sich zeigen, was in Potsdam stärker verbreitet ist: DDR-Nostalgie oder Sehnsucht nach einem architektonisch weitgehend bruchlosen Stadtbild. Vielleicht gibt die wachsende Zahl von Touristen, die schon heute neugierig den unvollendeten Alten Markt erkunden, den Potsdamern einen Fingerzeig, welche Entscheidung für die Stadt zukunftsweisend wäre.





Mitteschön!

Die Bürgerinitiative setzt sich für die Rekonstruktion historischer Gebäude in Potsdam und die Wiederbelebung des alten Stadtzentrums ein. „Mit der anstehenden Umgestaltung des Alten Marktes ist nun die großartige Möglichkeit gegeben, einen Teil des einmaligen Charmes, den die Potsdamer Mitte einstmals besaß, zurückzuerlangen“, heißt es auf der Internetseite.

 www.mitteschoen.de