© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/16 / 09. September 2016

Zierde seiner Zunft
Berlin nimmt Abschied von dem Geschichtsdenker Ernst Nolte
Matthias Bäkermann

Auf dem Friedhof der St.-Matthias-Gemeinde im Berliner Bezirk Tempelhof liegt das Grab einer bekannten historischen Existenz. „Etiam si omnes – ego non“ steht auf dem schwarzen Stein über dem Namen Joachim Fest. 

Seit vergangenen Freitag hat in unmittelbarer Nähe zu dem genau vor zehn Jahren hingeschiedenen Publizisten und langjährigen FAZ-Herausgeber der am 18. August verstorbene Geschichtsdenker Ernst Nolte seine letzte Ruhestätte gefunden. Und im besonderen galt auch für diese wahrhaft „historische Existenz“ das Motto „Auch wenn alle mitmachen, ich nicht“ – wenn auch vielleicht nicht immer als ganz freiwilliges Leitmotiv.

Er nicht. Sowohl die Besinnungen auf die Vita des Berliner Professors als auch jene auf den Familienvater während der Trauerfeier verdeutlichten immer wieder, daß Nolte nie ein Ehrgeiz antrieb, ausgetretene Pfade zu verfolgen. Kein Geringerer als Horst Möller, langjähriger Direktor des Münchner Instituts für Zeitgeschichte, nutzte die späte Gelegenheit am Sarg, um den Wert des Verstorbenen für die deutsche Historikerzunft zu würdigen, für die er wie kaum ein anderer internationale Aufmerksamkeit erntete. 

Allerdings auch das Œuvre des im Alter von 93 Verstorbenen, immer mit ernsthaftem Eifer betrieben, auf einem interdisziplinären Fundamentalwissen gründend und dennoch nie die wissenschaftliche Neugier scheuend, bezeichnete Möller als wegweisend. Der Fundus seiner Gedankenwelt würde aber sicherlich erst aus einer späteren Perspektive wertgeschätzt werden. Denn zu sehr provozierte Nolte diejenigen, die allein in der Frage nach dem „Warum“ ihre moralische Deutungshoheit über die jüngste Geschichte angegriffen sahen. Irgendwann erregte Nolte damit – allerdings auch mit manch allzu gewagter Zuspitzung, wie Möller einschränkte – unter seinen Kritikern nur mehr feindselige Abwehrreflexe. Ausgerechnet diejenigen, die einen herrschaftsfreien Diskurs als Ideal propagierten, machten sich später nicht einmal mehr die Mühe, seinen Thesen auf der fachlichen Ebene zu begegnen, geschweige denn, sie auf diesem Niveau zu widerlegen.

Daß der 1973 von Marburg nach Berlin berufene Ordinarius nicht nur Pöblern und Störern in der Studentenschaft ausgesetzt war, erlebte Möller als junger Assistent am Berliner Friedrich-Meinecke-Institut hautnah mit. Doch auch der Gewalt, der handfesten Bedrohung seiner Person und der seiner Familie begegnete Nolte stets genauso stoisch, wie den unfairen und beleidigenden Schmähungen und Ausgrenzungen seiner Berufskollegen. „Ernst Nolte beleidigte nie“, erinnerte Möller mit spürbarer Hochachtung vor dem wahrhaften Herren, dessen Sanftmut in so bemerkenswertem Kontrast zu seiner strengen Aura stand. Wie sehr auch die Familie unter der jahrzehntelangen öffentlichen Bedrängnis litt, die wie bei der Brandstiftung seines Autos oder der Vergiftung des Hundes nicht selten das Gesicht blanken Terrors zeigte, rief Noltes Tochter Dorothee in bewegenden Worten in Erinnerung. „Warum konnte mein Vater nicht einfach Tierarzt sein, so wie der Vater meiner Freundin“, schilderte sie ihre Kindheitsgefühle.

Bereits einige Tage vor der Beerdigung machte der Historiker Stefan Scheil in der Bibliothek des Konservatismus allerdings deutlich, welche fatale Konsequenz die Berufswahl Tierarzt für die Geschichtswissenschaft bedeutet hätte. Tatsächlich kam auch Scheil nicht umhin, Noltes Verdienste in der Erforschung von Nationalsozialismus und Kommunismus zu erwähnen und vor allem den „Historikerstreit“ nach 1986 zu rekapitulieren, der eigentlich kein echter Disput unter Fachhistorikern war, sondern mittlerweile wohl eher als Diagnose einer allzu verklemmten geschichtspolitischen Selbstreflexion in den Jahren der späten Bundesrepublik taugt. 

In den Fokus rückte Scheil vielmehr das weit über die Totalitarismusforschung des 20. Jahrhunderts hinausreichende Schaffenswerk, indem er insbesondere Noltes geschichtsphilosophische Erklärungen zur „historischen Existenz“ vortrug, die auch zukünftige Entwicklungen einbezieht. So wies Nolte früh auf Gefahren hin, die eine Digitalisierung der Intelligenz im Kontext des „Big Data“ für die „Existenz des schicksalsgebundenen Menschen“ bedeuten könne. Seine Warnungen vor der seiner Meinung nach schlagkräftigsten Gegenbewegung dazu, nämlich ein Sieg des Islamismus mitsamt seiner ein „Ende der Geschichte“ einläutenden „intellektuellen Todeszone“ (Dan Diner) dürften ein zukünftiges Urteil über Nolte nicht nur als extraordinärer Geschichtsdenker befördern, sondern ihm vielleicht auch als scharfsichtigen Auguren einen außerordentlichen Platz zuweisen.