© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/16 / 09. September 2016

Meistgehaßter Despot der Antike
Versuch einer Neubewertung: Die große Nero-Schau in Trier beleuchtet Leben, Werk und Wirkung des römischen Kaisers
Felix Dirsch

Einer der Gründe für das verbreitete Urteil vom verachtenswerten Nero, das bereits zeitgenössische Geschichtsschreiber wie Tacitus, Sueton und Cassius Dio fällten, ist sein grausames Vorgehen gegen Angehörige der Urkirche. Da erscheint es vergleichsweise harmlos, wenn der Althistoriker Theodor Mommsen den Nachfolger des Kaisers Claudius als „eine Null in den Staatsgeschäften“ betrachtete.

Obwohl die harschen Wertungen auch in der unmittelbaren Gegenwart kaum anders ausfallen als in früheren Epochen, kommt man selbst bei einem solchen scheinbar eindeutigen Fall nicht um Differenzierung herum. Nero genoß zumindest einige Zeit weithin Zustimmung in der Bevölkerung. Wie beinahe alle Tyrannen, die modernen des 20. Jahrhunderts eingeschlossen, öffnete er zur Belustigung der Massen die Staatsschatulle. Selbst zu Zeiten des christlichen Roms befanden sich noch Münzen im Umlauf, die auf die Wohltätigkeit des Christenverfolgers hinwiesen.

Angesichts des Facettenreichtum Neros als Kaiser, Künstler und Tyrann ist es zu begrüßen, daß in der Stadt Trier an drei verschiedenen Orten (Rheinisches Landesmuseum, Stadtmuseum Simeonstift und Museum am Dom) eine umfassende Schau über die schillernde Persönlichkeit zu sehen ist. Die enorme Fülle an Artefakten, von Büsten über szenisch-filmische Darstellungen, Bilder und erklärende Wandtafeln bis zu Münzen, kann hier nicht einmal ansatzweise erwähnt werden.

Im Rheinischen Landesmuseum werden vor allem der Lebenslauf und das politische Wirken Neros präsentiert. Im jugendlichen Alter von seiner intriganten Mutter Agrippina an die Macht gebracht, gelten die frühen Regierungsjahre als golden. Die Eindrücke, die er bei Volk, Senat und Militär hinterließ, waren zunächst überwiegend positiv, obwohl manche aus der Oberschicht daran Anstoß genommen haben dürften, daß der erste Mann im Staat von Anfang an auf seine Vorlieben für die Kunst aufmerksam gemacht hat: Er gab sich der Musik hin und betätigte sich als Wagenlenker. Selbst vor einer Auszeit in Griechenland, in der er die Staatsgeschäfte um der Künste willen vernachlässigte, scheute er nicht zurück. 

Ausführlich behandelt werden in der Ausstellung auch die Frauen im Umfeld des Herrschers. Die schwungvollen frühen Jahre gingen zu Ende, als Nero seine Mutter ermorden ließ. Auch die erste Ehefrau Octavia wurde zuerst verstoßen, dann ermordet. Ebenso soll deren Nachfolgerin, Poppaea Sabina, von ihrem Gatten getötet worden sein – wenn auch ungewollt. Die dritte Ehefrau, Statilia Messalina, überlebte ihren blutrünstigen Mann. Daneben spielte noch die Geliebte und Ex-Sklavin Acte eine Rolle.

Einer der Schwerpunkte der Ausstellung ist der legendenumwobene Brand Roms. Nero, wurde früh gemunkelt, soll befohlen haben, die Stadt anzuzünden, um seine größenwahnsinnigen architektonischen Pläne zu verwirklichen. Eindrucksvoll sind die filmischen Animationen über die Domus Aurea und den Koloß Nero, der die größte Skulptur der Antike dargestellt haben soll. Bewiesen ist der Brandbefehl nicht. Vielleicht hat der Tyrann auch nur die Folgen der Zerstörungen ausgenutzt, um seine Bauprojekte in die Tat umzusetzen.

Am Ende seiner Amtszeit rächte sich nicht zuletzt der verschwenderische Lebensstil. Das Militär in etlichen Provinzen murrte und stand gegen den Oberbefehlshaber auf. Auch in seiner unmittelbaren Umgebung verlor Nero mehr und mehr an Einfluß. Zudem ließ der Rückhalt im Volk spürbar nach. Schließlich endete er durch Selbstmord.

Das Museum am Dom thematisiert die religionspolitische Landschaft Roms, die weit über das erste nachchristliche Jahrhundert hinausreicht. Die Angehörigen der ungeliebten, kryptischen Sekte mit dem hingerichteten Anführer, der in den Quellen gelegentlich „Chrestos“ genannt wird, eignen sich vorzüglich als Sündenböcke. Die mannigfachen Arten von Folterungen kann man kaum ermessen. Berühmt ist die Schilderung bei Tacitus. Er beschreibt, wie man Christen in Felle einnähte und wilden Tieren zum Fraß vorwarf. Andere Autoren erwähnen den Konnex von Brandlegung und Verfolgung der damals noch jungen Religion nicht.

Der Ausstellungsteil im Museum am Dom verbleibt nicht bei der Religionspolitik im Römischen Reich. Nach der Mailänder Konvention 313, die der Kirche Toleranz zubilligte, herrschte für einige Zeit Religionsfreiheit, ehe mit der Proklamation des Christentums als Staatsreligion der Keim für neue Unterdrückungsmaßnahmen gelegt wurde. Als Mehrheitsreligion achteten die nunmehr Privilegierten auf die Rechte religiöser Minderheiten öfter nicht – und das über Jahrhunderte hinweg. Auf einer Tafel wird der Bogen zur heutigen Situation geschlagen. Viele Christen werden in Teilen der Welt an der Ausübung der Religionsfreiheit gehindert. Gleiches gelte für Muslime.

Das Nachleben Neros in Film, Musik, Literatur und Kunst ist umfangreich. Davon gibt primär die dritte Ausstellungsstation Aufschluß. Aus den diversen Verfilmungen ragt die 1951 von Mervyn LeRoy inszenierte heraus. Robert Taylor, Deborah Kerr und vor allem Peter Ustinov in den Hauptrollen von „Quo vadis?“ wirkten bis in die Tiefenschichten der kollektiven Erinnerung. Bereits der von Henry Sienkiewicz verfaßte, gleichnamige Historienroman, der als Vorlage diente, war ein großer Erfolg. Der Autor erhielt sogar den Nobelpreis für Literatur.

Ebenso eignete sich das Nero-Sujet für die Oper. Das wohl berühmteste Bühnenstück der Nero-Rezeption, Claudio Monteverdis „L’incoronazione di Poppea“, stellte den egoistischen und rücksichtslosen Despoten heraus.

Die ausgezeichnete Ausstellung schafft es zwar nicht, das Nero-Bild grundsätzlich zu revidieren, was schon vor über zwanzig Jahren die umstrittene Publikation des italienischen Journalisten Massimo Fini („Nero. 2000 Jahre Verleumdung“) vergeblich versucht hatte; dennoch trägt sie zur notwendigen Differenzierung der Bewertung einer mythen- und legendenumwobenen Gestalt bei. Hervorzuheben ist der Erkenntnisgewinn, den ein detailliertes Studium des opulenten Begleitkataloges ermöglicht.

Die Ausstellung „Nero – Kaiser, Künstler und Tyrann“ ist bis zum 16. Oktober in Trier im Rheinischen Landesmuseum, Weimarer Allee 1, im Museum am Dom, Bischof-Stein-Platz 1, und im Stadtmuseum Simeonstift, Simeonstraße 60, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Telefon: 06 51 / 97 74 - 0

 www.nero-ausstellung.de