© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/16 / 09. September 2016

Die Geburt der dritten Kraft
Vor dreißig Jahren eroberte Jörg Haider die FPÖ-Führung und leitete einen Politikwechsel der Partei ein
Lothar Höbelt

Vor dreißig Jahren begann mit der Wahl Jörg Haiders zum Obmann der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) die Metamorphose einer absteigenden Honoratiorenpartei zum Vorzeigemodell aller rechtspopulistischen Parteien Europas. Völlig überraschend verdoppelte Haider danach in zehn Wochen Wahlkampf den Stimmenanteil seiner Partei und überholte in den neunziger Jahren dann erstmals auch eine der beiden traditionellen Großparteien. 

Wo viel Licht ist, ist viel Schatten: Haider führte seine Partei zur Jahrtausendwende in die Regierung, konnte aber mit den Folgen nicht umgehen. Eine von ihm angezettelte Revolte gegen die eigene Regierungsmannschaft führte zum dramatischen Absturz in der Wählergunst, schließlich 2005 zur Parteispaltung. Haider selbst kam 2008 bei einem Autounfall ums Leben; seine Geschäfte mit der Landesbank beschäftigen immer noch die Gerichte. Inzwischen freilich haben die Wähler das sogenannte „dritte Lager“ eindrucksvoll amnestiert. Die wiedervereinigte FPÖ liegt heute in allen aktuellen Umfragen zehn Prozent vor allen Konkurrenten.

Die FPÖ war seit 1983 erstmals in ihrer Geschichte Regierungspartei, als Juniorpartner in einer Kleinen Koalition mit den Sozialisten. Die Kleine Koalition war 1983 noch von den abtretenden Übervätern beider Parteien eingefädelt worden, dem SPÖ-Langzeit-Bundeskanzler Bruno Kreisky, der nach drei Legislaturperioden seine absolute Mehrheit verloren hatte, und Friedrich Peter, dem ehemaligen Waffen-SS-Offizier und Langzeit-Obmann der FPÖ (1958–1978). Doch die machtbewußten Sozialisten ließen der FPÖ kaum Raum zum Atmen. Die Umfragewerte der Partei – wie insgesamt der Regierung – rasselten in den Keller. Der neue Parteiobmann und Vizekanzler Norbert Steger war ein intelligenter und redegewandter Politiker, aber keine Integrationsfigur. Seine Ansagen gegen das traditionelle nationalkonservative Parteiestablishment machten böses Blut, bis 1986 dann der oberösterreichische Abgeordnete Norbert Gugerbauer von seinem Vorstand offiziell den Auftrag erteilt bekam, einen neuen Obmann zu suchen.

Traditionspartei mit Beziehungen zur FDP

Jörg Haider als Kärntner Landesobmann war schon längere Zeit durch eigenwillige Aktionen und undiszipliniertes Verhalten aufgefallen. Das Gros der Parteigranden suchte der Polarisierung zwischen Steger und Haider auszuweichen und einen Kompromißkandidaten auf den Schild zu heben. Doch in dem einen Punkt waren sich Steger und Haider einig: Keiner von ihnen wollte für einen Dritten die Kastanien aus dem Feuer holen. Steger erwärmte sich erst fünf Minuten nach zwölf – nämlich auf dem Parteitag selbst – für eine Kompromißlösung, sobald klar war, daß Haider eine Mehrheit der Delegierten hinter sich hatte. Dessen Mehrheit von 56 Prozent war deutlich, aber nicht überwältigend; überwältigend dagegen der Jubel seiner Anhänger: Ein berühmtes Bild zeigt die Szene, als Haider von ein paar seiner Getreuen auf die Schultern gehoben und durch die Halle getragen wurde.

Die List der Geschichte fügte es, daß Haider zu seinem eigenen Glück nahezu gezwungen werden mußte. Haider wollte die Koalition mit den Sozialisten fortsetzen, doch am nächsten Tag stellte ihm der SPÖ-Vorsitzende Franz Vranitzky – gegen die Bedenken vieler hochrangiger Parteifreunde – den Stuhl vor die Tür. Nach den Neuwahlen vom November 1986 wiederum wollte ÖVP-Obmann Alois Mock mit Haider eine bürgerliche Koalition bilden, fand aber in der eigenen Partei dafür keine Mehrheit. Erst im Jahre 2000 korrigierte die ÖVP unter Wolfgang Schüssel diesen Fehler, aber da hatte die FPÖ sie bereits um genau 415 Stimmen überholt. In den Jahren dazwischen aber wußte Haider den Oppositionsbonus zu nutzen, den er ursprünglich gar nicht angestrebt hatte.

Die Lega in Italien, der Front National in Frankreich, Ukip, von der AfD ganz zu schweigen, waren Neugründungen, mit all den Schwierigkeiten, die damit verbunden sind. Haider hingegen übernahm eine Traditionspartei, die noch bis in die neunziger Jahre enge Beziehungen zur FDP unterhielt, und verwandelte sie in eine breitgefächerte, taktisch flexible, zuweilen auch krisenanfällige „Bewegung“. Nur die Schweizerische Volkspartei hat unter Christoph Blocher eine ähnliche, wenn auch weniger dramatische Entwicklung durchgemacht. 

Die Wählerstruktur der Partei, auch ihre Themen, waren einem raschen Wandel unterworfen: Bei den ersten Wahlen punktete Haider deutlich bei den Bürgerlichen, so auch in den inneren Bezirken Wiens. Der Haider der achtziger Jahre verkörperte den frischen Wind, der mit Reagan und Thatcher in die defensive Politik der Konservativen Einzug gehalten hatte, auf dem Kontinent aber nicht wirklich rezipiert worden war. Haider – durch Erbschaft Großgrundbesitzer – stand mit einigen der wenigen Milliardäre Österreichs auf gutem Fuß. Noch 1999 zog er mit der „flat tax“ in die Wahlen und posierte in seinem Parlamentsbüro vor dem Sternenbanner. Die damalige US-Botschafterin konzedierte ihm, er käme dem amerikanischen Modell von allen österreichischen Politikern am nächsten. 

Doch schon in den neunziger Jahren gewann das Zuwanderungsthema an Bedeutung und Brisanz. Die FPÖ kultivierte das Robin-Hood-Image, nahm sich des „kleinen Mannes“ an und wurde zunehmend zur Arbeiterpartei. Ihre Wiener Hochburgen liegen heute in den Außenbezirken; die inneren Bezirke sind grün dominiert. Allerdings erfreut sich die FPÖ auch bei der Unternehmerschaft eines überproportionalen Zuspruchs. Dieser Befund läßt Klassenkämpfer nicht zur Ruhe kommen, ist aber relativ einfach zu erklären. Die FPÖ spricht die Erwerbstätigen an, die nicht im „geschützten Sektor“ tätig sind, sondern tatsächlich noch weitgehend den Gesetzen des Markts unterworfen. Doch während die Wählerschaft durcheinandergewürfelt wurde – und die Nichtwähler zum Unterschied von den achtziger Jahren bei allen Wahlgängen längst stärkste Partei sind – war der Parteiapparat von sehr viel mehr Kontinuität geprägt. Bestes Beispiel: Norbert Steger sitzt heute wieder als FPÖ-Vertreter im staatlichen Rundfunk, seine Tochter ist Abgeordnete.  

Haider kopierte die trotzige Aufmüpfigkeit der 68er 

Wesentlich für den Aufstieg Haiders war das von Haßliebe geprägte Verhältnis zu den Medien. Die meisten Journalisten polemisierten von früh bis spät gegen Haider – und machten ihn dadurch zum Star. Der Führer einer Partei, die bisher von den meisten Wählern nicht einmal so recht wahrgenommen worden war, wurde zum bekanntesten Politiker des Landes. Haider war 1950 geboren und nicht ganz frei von der trotzigen Aufmüpfigkeit, wie sie die Achtundsechziger-Generation auszeichnete. Ja, bis zu einem gewissen Grad war Haider für die Achtundsechziger sogar das, was Napoleon für die Französische Revolution gewesen war – ihr Vollender und Überwinder. Er griff die Tabus an, die selbst für die in die Jahre gekommenen Revoluzzer von Anno dazumal sakrosankt waren – und kehrte ihre Methoden gegen sie, bis zum Schluß ehemalige Trotzkisten im Stile viktorianischer Gouvernanten darüber klagten, daß Haider doch wirklich nicht „salonfähig“ sei. Doch vielleicht müssen Konservative in Zeiten, wo die Schickeria links tickt, gerade das lernen.