© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/16 / 09. September 2016

Diskriminiertes Volksviertel
Axel Adrians solide Studie über das Kinderwahlrecht
Konrad Löw

Im Grundgesetz heißt es: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen ausgeübt.“ Dabei drängt sich die Frage auf: Entspricht unsere Wirklichkeit dieser Vorgabe, wenn etwa ein Viertel des Volkes ohne Wahlrecht ist, nämlich die Kinder? Wie sollen allerdings Säuglinge und Kinder vernünftig vom Stimmrecht Gebrauch machen? Doch Halt! Wofür haben Minderjährige gesetzliche Vertreter, in der Regel die Eltern? Sie könnten doch auch bei den Wahlen die Belange ihrer Kinder wahrnehmen, die dann im politischen Prozeß stärkere Beachtung fänden. 

So wurde schon vor Jahrzehnten die Forderung nach einem wirklich allgemeinen Wahlrecht laut, doch zunächst ohne Echo. Doch zwischenzeitlich ist die Zahl der Befürworter beachtlich. Sogar der Deutsche Bundestag hat sich schon damit befaßt. Zahlreiche Aufsätze wurden verfaßt und wissenschaftliche Bücher publiziert. Sie alle überragt an Umfang und Gründlichkeit Axel Adrians Werk. Wer zu ihm greift, erhält Antwort auf jede einschlägige Frage.

Ein Argument von großem Gewicht ist das Verfassungsgebot, daß die Wahlen, wie es ausdrücklich heißt, allgemein sein müssen. Kann es dann rechtens sein, wenn ein hoher Prozentsatz des Volkes von den Wahlen ausgeschlossen ist? Die naheliegende Antwort, daß sachliche Gründe einem Wahlrecht der Minderjährigen entgegenstehen, weshalb sie auch nicht geschäftsfähig sind, verkennt ihre allgemeine Rechtsfähigkeit gemäß der Bestimmung: „Die Rechtsfähigkeit beginnt mit der Vollendung der Geburt.“ Die Vorenthaltung von Rechten muß mit gewichtigen Fakten untermauert werden.  Nur bei der Ausübung ihrer Rechte bedürfen sie ihres gesetzlichen Vertreters. Die durch nichts zwingend gebotene Vorenthaltung des Wahlrechts ist also faktisch eine Diskriminierung.

Der weitere Einwand, man könne nicht sicherstellen, daß gesetzliche Vertreter tatsächlich die Belange ihrer Schutzbefohlenen wahrnehmen, wendet sich nicht nur gegen den Vertreter, wenn er zum Wählen geht, sondern gegen die Institution des gesetzlichen Vertreters überhaupt. Davon abgesehen spricht die Erfahrung aller Generationen dafür, daß im Regelfall das Wohl der Kinder den Eltern ganz besonders am Herzen liegt.

Axel Adrian: Grundsatzfragen zu Staat und Gesellschaft am Beispiel des Kinder-/Stellvertreterwahlrechts. Verlag Duncker & Humblot, Berlin 2016, broschiert, 560 Seiten, 99,90 Euro