© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/16 / 16. September 2016

Wolfgang Neumann. Abtreibung gilt als Frauensache. Was aber ist mit den Männern?
Das Schicksal der Väter
Ansgar Lange

Wenn ein ganz bestimmtes Thema, das oft mit Schuldgefühlen einhergeht, als reine Frauensache gilt, dann ist es das massenhafte Phänomen der Abtreibung. Schon 1971 gaben 374 Frauen in der Titelgeschichte des Stern zu Protokoll: „Wir haben abgetrieben!“ Männer waren und sind dagegen oft nicht vorgesehen, wenn sich Frauen entschließen, ein Kind zu töten, obwohl es ja nicht nur ihr (der Frau) Kind ist, sondern „ihr“ Kind im Plural – „ihr“ im Sinne von Frau und Mann.

Der Bielefelder Psychotherapeut Wolfgang Neumann stellte in seiner Praxis fest, daß Männer von einer Abtreibung durchaus „berührt“ werden: „Männer reden zwar darüber, als ob es sie nichts anginge, und sie wissen auch wenig ... Aber innerlich sind sie stärker beteiligt, als sie gewöhnlich glauben. Selbst hinter einer emotionslosen Fassade steckt oft viel Wut über die eigene Ohnmacht. Und da sind auch Enttäuschung und Trauer über den Verlust.“

Doch Männer, so der Therapeut, werden in dieser Frage oft auf ihre Rolle als Funktionsträger der Fortpflanzung reduziert. Ihr Körper und ihre Psyche aber müssen mit den Folgen klarkommen. Menschen wie Wolfgang Neumann helfen diesen Männern, indem sie sie wieder „zur Sprache“ bringen. Sein bereits 2004 gemeinsam mit dem Psychologen Björn Süfke herausgebrachtes Buch, das sich der Psychotherapie mit Männern widmet, trägt daher auch den Titel: „Den Mann zur Sprache bringen“.

„Männer verlieren im Laufe ihrer Kindheit und Jugend immer mehr den Zugang zu ihren Impulsen. Diesen Zugang gilt es wiederherzustellen“, so lautet die Arbeitshypothese des 1940 in Halle an der Saale Geborenen, der sich erst im Jahr 2000 als Psychologischer Psychotherapeut niederließ, nachdem er seit 1972 als Studienberater und Leiter der Zentralen Studienberatung der Uni Bielefeld tätig war.

Neumann, der aufgrund eines Unfalls seit seinem 16. Lebensjahr querschnittsgelähmt ist, war allerdings immer auch Schriftsteller, verfaßte Psychologen-Krimis, Kinderbücher, Poesie und anderes. Vor einem Jahr hat er seine Autobiographie vorgelegt. 

 Mit seinem bis heute beachteten Buch, einem „Reiseführer durch die Männerseele“ (SWR-Radio), will er gegen die Scheu anschreiben, sich in Therapie zu begeben. Denn daß Männer über Gefühle, Ängste, Nöte und persönliche Probleme sprechen, gilt ihnen selbst oft immer noch als „Frauensache“.

Und während sich Hunderte wissenschaftlicher Studien mit den Auswirkungen einer Abtreibung auf die Seele der Frau beschäftigen, gibt es kaum Untersuchungen über die Auswirkungen auf Männer. „Das Gesetz, das die Beratungen (zur Schwangerschaft) regelt, hat die Väter praktisch vergessen“, moniert selbst die Zeit. Wolfgang Neumann würde daran gerne etwas ändern.