© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/16 / 16. September 2016

Dorn im Auge
Christian Dorn

Bar jeder Vernunft: In dem versteckt gelegenen, über einem Garagendeck errichteten Spiegelzelt – neben dem Haus der Berliner Festspiele, einem eigentlichen „Nichtort“ West-Berlins – ist der Name Programm. Das beweisen leider auch die zuweilen platten Pointen der zwischen Comedy und politischem Kabarett agierenden Idil Baydar (http://idilbaydar.de), die mit der Figur der Youtube-Queen Jilet Ayse ein Millionenpublikum erreicht und in ihrem ersten Soloprogramm so selbstbewußt wie lautstark forderte: „Deutschland, wir müssen reden!“ (JF 46/15). Nun stellt die mit türkisch-deutschem Hybridmotor ausgestattete Schauspielerin ihr neues Programm „Ghettolektuell“ vor (nächste Termine: 31. Oktober bis 2. November).


Während sie sich damals aufklärerisch für die Emanzipation der muslimischen Mädchen und gegen den Kopftuchzwang engagierte, setzt sie nun auf billige Lacher wie: „Wir wollen Burka – nicht Gina-Lisa Lohfink.“ Überhaupt könnten die Designerläden auf der Düsseldörfer Kö dichtmachen, wenn Bundesinnenminister de Maizière sein Burka-Verbot verwirkliche. Der vermeintlichen Bedrohung durch die islamische Verhüllung begegnet sie mit der Frage: „Aber warum haben wir nicht Angst vor Männern mit Krawatte?“ Schließlich erscheine immer, wenn was Schlimmes passiert ist, „ein Anzug mit Krawatte“.


Dabei gibt die in teuren Adidas-Klamotten steckende Bühnenfigur Baydars selber politisch-korrekte Horrorszenarien zum besten. Dummerweise folgt sie damit jenen Klischees und Stereotypen, denen sie mit ihren Auftritten eigentlich den Kampf angesagt hat. So erklärt sie zum AfD-Ergebnis in Usedom in gespielter Trauer: „Ich möchte heute mein Mitleid aussprechen, Deutschland, 52 Prozent Wähleranteil, das habt ihr nicht verdient.“ Daß sie hier AfD und NPD klammheimlich addiert und dieses „demokratische“ Wahlergebnis gleichsetzt mit der Diktatur Erdogans, findet im Publikum wie bei den Bar-Bediensteten großen Applaus, was wieder mal zeigt: Auch die Dummen müssen sich – wie beim Basketball – „abklatschen“. Wer hier Widerspruch anmeldet, holt sich einen Korb, wie ein Besucher dieser Show am Vortag. Am Ende seien „wir selber schuld, daß wir die Türkei seit 50 Jahren nicht aufgenommen haben“, aber auch, weil wir Erdogan hier hätten auftreten lassen. Die „deutsche Schauspielerin“ weiß jedoch um die Grenzen ihrer Reflexion und schließt mit der Erkenntnis: „Diese Spiegelprojektion ist zuviel.“