© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/16 / 16. September 2016

Reise in den afrikanischen Sonnenuntergang
Schon 2040 werden die Löwen, die größten Raubkatzen des Schwarzen Kontinents, fast ausgestorben sein
Dieter Menke

Lange hatte es den Anschein, als könne es den afrikanischen Löwen besser als den asiatischen Tigern ergehen, aber das ist ein Irrtum. Einer, dem nicht mehr erliegen konnte, wer in den vergangenen zwei Jahren die sich häufenden, extrem pessimistisch gestimmten Publikationen über den „Abschied auf leisen Pfoten“ zur Kenntnis genommen hat, die auf das Aussterben der Raubkatzen vorbereiten (JF 10/16).

Umstritten ist derzeit allenfalls, wieviel Tiere überhaupt noch in Afrikas Savannenlandschaften leben: 32.000 bis 35.000, wie von einer Forschergruppe 2013 geschätzt, oder nach einer 2016 erschienenen Studie lediglich noch 20.000 Tiere in 67 Populationen. Das wären kaum fünf Prozent des Bestandes von vor hundert Jahren, als etwa 500.000 bis 600.000 Tiere in Afrika lebten.

Unstrittig hingegen ist, wie der Frankfurter Zoologe Joachim Scholz und seine Kollegen Irina Ruf und Mathias Wirkner im Wissenschaftsmagazin Senckenberg (5-6/16) lakonisch feststellen, daß die „Reise des Löwen in den afrikanischen Sonnenuntergang nicht mehr zur Debatte steht“. Für Zentral- und Westafrika lautet daher ihre Prognose bis 2040: „halbiert oder ausgelöscht“.

Für Ostafrika liegt die Wahrscheinlichkeit eines derart drastischen Rückgangs bei 40 Prozent. Ein Überleben der Spezies ist damit außerhalb einiger gut bewachter und touristisch erschlossener Nationalparks im südlichen Afrika in Frage gestellt. Eine Einschätzung, die der renommierte Löwenexperte Craig Packer (University of Minnesota) teilt, auch wenn der Direktor des Lion Research Center einschränkt, daß trotz der augenblicklich dort dramatisch einbrechenden Populationen es zumindest für Ostafrika noch nicht zu spät sei, diesen Prozeß aufzuhalten.

Löwen-Reservate sind keine langfristige Lösung

Die Ursachen für das Verschwinden des Königs der Tiere sind vielfältig. Der medial gern exponierten Trophäenjagd, die 2015 wieder weltweite Empörung auslöste, als der US-Zahnarzt Walter Palmer im einstigen Südrhodesien (Simbabwe) den imposanten Löwen Cecil mit Pfeil und Bogen erlegte, kommt dabei eher marginale Bedeutung zu, da jährlich nur 600 meist männliche Löwen an Jagdtouristen „verkauft“ werden. Diese Einnahmen helfen, ein halbwegs effektives Management in den Löwenreservaten zu finanzieren. Ohne das Geld stünde es um den Arterhalt des Löwen noch schlechter als ohnehin schon. Dennoch wurde Palmers Praxis in Bloomington (Minnesota) von energischen Tierschützern medienwirksam belagert und sein Ferienhaus in Florida attackiert.

Auch der durch steigende Einkommen in China und Südkorea boomenden traditionellen asiatischen Medizin die Beinahe-Ausrottung anzulasten ist zumindest übertrieben: Der Nachschub für „Knochenstärkenden Wein“ und ähnlich obskure Wunderheil- und Potenzmittel soll überwiegend von Zuchtlöwen und nicht von gewilderten Tieren stammen. Die Frankfurter Forscher melden hier jedoch Zweifel an, da weder die 5.000 Zuchttiger in China noch die Zuchtlöwen die enorme Nachfrage befriedigen können, so daß Wilderei weiterhin eine Option ist. Da der indische Tiger immer seltener wird, töten Wilderer als „Alternative“ Löwen in Afrika.

Hauptverantwortlich für den angesagten Kollaps der Großkatzenpopulationen und die größte Bedrohung ist jedoch Afrikas Überbevölkerung (JF 34/16). Auf deren Konto gehen etwa die 98.000 bis 140.000 Gnus, die jedes Jahr in der Serengeti geschossen werden, um den Fleischmarkt mit „Bushmeat“ zu beliefern. Die riesigen Huftierherden verlieren so stetig sechs bis zehn Prozent ihrer Gesamtpopulation. Verluste, die schon mittelfristig in ihrem Zusammenbruch enden werden – was den Löwen die Nahrungsgrundlage entzieht.

Und die Hoffnung, voneinander isolierte Löwen-Reservate mit ihren meist viel zu kleinen Populationen durch Korridore zu verbinden, um den genetischen Austausch in Schwung zu bringen, bleibt angesichts der rapide wachsenden Nachfrage nach Siedlungs- und Agrarland für eine sich von heute einer Milliarde bis 2100 auf voraussichtlich fünf Milliarden Menschen vermehrenden afrikanischen Bevölkerung ebenfalls „illusorisch“.

So erfülle sich die Voraussage des berühmten russischen Geowissenschaftlers Wladimir Wernadski, der sich schon 1938 sicher war, der Mensch werde jedes in seiner Umwelt vorhandene Leben vernichten, um ihm nützliche Tierarten anzusiedeln, so daß etwa sämtliche wildlebenden Huftiere zum Aussterben verurteilt seien.

Senckenberg-Gesellschaft für Naturforschung: www.senckenberg.de