© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/16 / 23. September 2016

Diesmal sollten es saubere Wahlen sein
Duma-Wahl: Regierungspartei Einiges Rußland fährt Sieg ein, dennoch bleiben erhebliche Zweifel an dessen Korrektheit / Wahlbeteiligung eingebrochen
Thomas Fasbender

Still und leise gingen die russischen Duma-Wahlen am Sonntag über die Bühne, mit TV-Krimi statt Wahlnachlese im Abendprogramm. Bei einer Wahlbeteiligung von nicht ganz 48 Prozent, 2011 lag sie bei 60,2 Prozent, fuhr die Regierungspartei Einiges Rußland laut dem offiziellen Ergebnis eine satte Zweidrittelmehrheit von 343 (2011: 238) der 450 Parlamentssitze ein. Dabei half ihr ein Wahlrecht, das sich aus britischen und deutschen Elementen zusammensetzt. Die eine Hälfte der Mandate errechnet sich nach dem Verhältniswahlrecht, die andere besteht aus Direktmandaten.

 Einiges Rußland heimste am Sonntag entsprechend 79,6 Prozent der Direktmandate ein. Insgesamt erhielt die Partei offiziell 54,2 Prozent der Stimmen und kommt damit auf 76,2 Prozent der Parlamentssitze.

Nach der Schlappe von 2011, als die Rochade an der Staatsspitze und massive Wahlmanipulationen zu monatelangen massiven Protesten führten, haben die Politiktechnologen im Kreml dieses Mal von den Umständen profitiert. Der Kiewer Putsch im Februar 2014, die Annexion beziehungsweise der Anschluß der Krim und die bis heute schwelende Ukrainekrise, der offene Informationskrieg mit dem Westen und das erfolgreiche Syrien-Engagement der russischen Streitkräfte haben das gesellschaftliche Klima verändert. Die wirtschaftliche Lage mag noch so drücken – viele Russen sonnen sich in dem Bewußtsein: Wir sind wieder wer.

Wie bei jeder russischen Wahl kam es auch am vergangenen Sonntag zu Manipulationen und Regelverstößen. Strittig ist deren Umfang und Einfluß. Offiziell – nach den Erfahrungen vor fünf Jahren – hatte der Kreml dieses Mal „saubere“ Wahlen angeordnet. Gleichzeitig ergingen klare Vorgaben an die Gebietsoberen der 85 Föderationssubjekte. Jeder Regionschef wußte, daß der Wahlausgang sein Schicksal bestimmen würde. 

Der liberale Nawalny hielt sich überraschend zurück

Noch am Montag hat die Föderale Wahlbehörde unter Leitung der früheren Menschenrechtsbeauftragten Ella Pamfilowa die Ergebnisse in drei Wahlkreisen für ungültig erklärt. Vor allem geht es um die Regionen Rostow am Don und in Nischni Nowgorod. Überwachungskameras hatten aufgezeichnet, wie Mitglieder der Wahlkommission fingerdicke Stapel mit Wahlzetteln in die Urnen stopfen – seit Montag früh sind die Aufnahmen im Internet abrufbar.

Inzwischen wurden aber auch andere Stimmen laut. Der Physiker Sergej Schpilkin hatte schon 2011 darauf hingewiesen, daß einzelne Wahllokale eine besonders hohe Beteiligung und ein besonders hohes Ergebnis der Regierungspartei vorwiesen. Er errechnete für die Wahl am Sonntag eine wirkliche Beteiligung von nur 37 Prozent – demnach wären 5,7 Millionen Wahlzettel illegal in den Urnen gelandet. Schpilkins „korrigiertes“ Wahlergebnis: nicht 54,7 Prozent, sondern nur 40 Prozent für Einiges Rußland.

Eine Tatsache, die auch unter der statistisch bereinigten Hypothese gilt, ist das faktische Verschwinden der liberalen Opposition. Die Partei Jabloko, immer noch angeführt vom unermüdlichen Grigori Jawlinski, sicherte sich zwar in den Hauptstädten Moskau und St. Petersburg jeweils über neun Prozent, spielt jedoch landesweit keine Rolle. Das gleiche gilt für ihre Konkurrentin Parnass. 

Die Protagonisten der liberalen Opposition, allen voran Jawlinski und Michail Kosjanow, sind seit Jahren zerstritten und opfern den politischen Erfolg ihrer Eitelkeit. Alexej Nawalny, der Korruptionsjäger und Oppositionsführer mit dem derzeit stärksten Charisma, hielt sich überraschend zurück. Er ist gerade einmal 40, und sein Blick geht über 2016 hinaus.

Wie es weitergeht, wird spätestens bei der Ernennung des neuen Ministerpräsidenten offenbar. Ein Alexej Kudrin an der Regierungsspitze, Finanzminister der ersten Putin-Jahre, wäre ein Sieg für die Wirtschaftsliberalen, ein Dmitri Rogosin für die Falken der Kriegswirtschaft. Der Amtsinhaber Dmitri Medwedew repräsentiert den wenig wahrscheinlichen Mittelweg – mit seiner baldigen Ablösung wird gerechnet.