© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/16 / 23. September 2016

Die gefährliche Geldpolitik der Europäischen Zentralbank
Gute und schlechte Deflation
Dirk Meyer

Die Europäische Zentralbank (EZB) will ein Abgleiten in eine ruinöse Deflationsspirale verhindern. „Es ist aber unsere Verantwortung, die Risiken für dieses Szenario zu sehen und uns darauf vorzubereiten“, kündigte EZB-Präsident Mario Draghi an. Seitdem sind zweieinhalb Jahre vergangen. Die geldpolitische Bazooka hat bei einer Inflationsrate um die null Prozent ihr Ziel einer Geldentwertung von zwei Prozent nicht erreicht. Zudem führen die Negativzinsen zu kollateralen Schäden, indem sie den Banken ihr Geschäftsmodell zunichte machen, die kapitalgedeckte Altersvorsorge ad absurdum führen und die Risikoneigung nachhaltiger Institutionen wie Lebensversicherer in gefährlicher Weise verschieben.

Deflation bezeichnet ein fallendes Güterpreisniveau, also eine negative Inflationsrate. Eigentlich sind fallende Preise ein Grund zur Freude: Einkommen und Renten haben mehr Kaufkraft, mehr Güter können erworben werden – die Nachfrage sollte steigen. Allerdings kann die Preisverfallerwartung die Kauflaune bremsen: Was ich heute nicht erwerbe, ist morgen günstiger zu kaufen. Was ist richtig? Die frühere Wirtschaftsweise Beatrice Weder di Mauro unterscheidet zwischen „guter“ und „schlechter“ Deflation. Ist ein Land wegen staatlicher Auflagen, Klientelwirtschaft, zu hoher Löhne und Sozialleistungen international wettbewerbsunfähig, so können deregulierende Strukturreformen und Lohnverzicht die Produktivität steigern. Kosten und Preise sinken, die Wettbewerbsfähigkeit steigt. 2014 hatten Griechenland (-1,4 Prozent), Spanien und Portugal (-0,2) sowie Zypern (-0,3) ein leicht deflationäres Preisniveau – möglicherweise noch zu wenig. Die Eurozoneninflation lag aber bei 0,4 Prozent, Deutschland (0,8) und Österreich (1,5) lagen darüber. Dies veranschaulicht auch die Probleme eines einheitlichen „Geldanzuges“ für alle Euro-Staaten.

Eine Bankenkrise (Italien, Griechenland, Spanien), eine Finanzmarkt- oder eine Staatsschuldenkrise kann hingegen mit einem Einbruch der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage einhergehen. Konsum, Investitionen und staatliche Nachfrage brechen ein. Arbeitslosigkeit, sinkende Einkommen und Löhne setzen eine negative Preisspirale – „schlechte Deflation“ – in Gang.

Treffen Negativzinsen und ein geringes Wachstum auf sinkende Inflationserwartungen und die Erfahrung, daß die EZB ihr Inflationsziel mittelfristig nicht erreicht hat, so befinden wir uns in der Realität. Gerade diese Gemengelage von noch nicht wiedererlangter Wettbewerbsfähigkeit der Mittelmeerländer, aktuell drohender Bankenzusammenbrüche und einer EZB, die ihr Pulver verschossen hat, macht die derzeitige Lage so überaus gefährlich. Nicht die Deflation ist das zentrale Problem, sondern eine handlungsunfähige EZB.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.