© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/16 / 23. September 2016

Atomkraft rechnet sich nicht mehr
Für die bulgarische AKW-Baustelle Belene finden sich keine Privatinvestoren / Ungelöster Streit um 620-Millionen-Euro-Urteil
Jörg Fischer

Bulgarien ist mit einem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von 6.100 Euro das ärmste EU-Land. Da sind 620 Millionen Euro plus Zinsen, welche die sieben Millionen Steuerzahler nun abstottern müssen, keine Peanuts. Aber es ist nur die Hälfte jener 1,2 Milliarden Euro, die der russische AKW-Exporteur Atomstroiexport (ASE) an Entschädigung für Kosten und entgangenen Gewinn für den gestoppten Bau des Kernkraftwerks beim Donaustädtchen Belene verlangte.

Grundlage ist ein Genfer Schiedsgerichtsurteil, das der Staatskonzern ASE bei der privaten Internationalen Handelskammer (ICC) in Paris erwirkte. Schon zu Ostblockzeiten, wo Staatsknete im Überfluß da war und die Sowjetunion die Technik zu Freundschaftspreisen liefete, verfolgte der kleine Balkanstaat große Pläne: 1967 begann die Projektierung, 1970 der Bau, und 1974 floß der erste Strom aus dem Donau-AKW Kosloduj. Die vier ersten Wasser-Wasser-Energie-Reaktoren liefen fast drei Jahrzehnte. Die verbliebenen zwei jüngeren mit einer auf 2.000 Megawatt gesteigerten Bruttoleistung sichern heute fast die Hälfte des bulgarischen Strombedarfs.

Für die AKW-Pläne müssen nun die Steuerzahler haften

Der 1987 begonnene Bau des AKW Belene war hingegen ein finanzielles Desaster. 1990 stoppten Geldmangel und Bürgerproteste den Weiterbau. 2005 beschloß die Regierung – wohl schon mit Blick auf die lukrative EU-Mitgliedschaft 2007 – den AKW-Weiterbau. 2008 wurde unter dem postkommunistischen Premier Sergei Stanischew ein Konsortium unter Führung von ASE mit der Belene-Fertigstellung beauftragt. Die neue Mitte-Rechts-Regierung unter Bojko Borissow stoppte den AKW-Bau 2012 erneut – nicht nur wegen Erdbebengefahr oder geschätzten zehn Milliarden Euro Kosten für den Steuerzahler, sondern auch wegen des russischen Konsitorialführers, der vor allem Brüssel und Washington nicht genehm ist. Darauhin wandte sich ASE an den ICC, denn die neuen Druckwasserreaktoren AES 92 waren zwar noch nicht geliefert, aber schon in Rußland produziert.

Das ICC-Urteil vom Juni ist unumstößlich, ein Weiterverkauf der Reaktoren an den Iran scheiterte. Bulgarien hat keine Milliarden für den Weiterbau, Privatinvestoren gibt es nicht. Daher soll nun eine Arbeitsgruppe aus bulgarischer Energieholding (EAD) und der russischen Atomenergieagentur (Rosatom) die Zahlungsmodalitäten klären. Die bulgarische Seite moniert unter anderem die Höhe der zu zahlenden Zinsen. Doch selbst wenn es darüber eine Einigung geben sollte, kann weder die EAD noch der bulgarische Energieversorger NEK die 620 Millionen Euro aufbringen. Eine Kreditaufnahme scheidet ebenfalls aus: EAD und NEK müssen erst ihre Altschulden begleichen.

Aktuell wird über die Aufnahme eines innerstaatlichen Kredits spekuliert. Bulgarien verfügt derzeit über eine Fiskalreserve von etwa 6,5 Milliarden Euro. Finanzexperten empfehlen hingegen, die Staatsverschuldung zu erhöhen. Optimisten hoffen auf Hilfe aus Brüssel.

Kernkraftwerke in Bulgarien: world-nuclear.org