© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/16 / 30. September 2016

Noch ist nicht alles verloren
US-Präsidentschaftswahlkampf: Das erste direkte Fernsehduell zwischen Hillary Clinton und Donald Trump ging unentschieden aus
Thorsten Brückner

Unentschieden“, lautete das Fazit von Fox-News Analyst Charles Krauthammer. Sieg für Hillary Clinton im Wettstreit mit Donald Trump, sagen die ihr wohlgesonnenen Medien und die nach der meistbeachteten TV-Debatte der vergangenen Jahrzehnte veröffentlichten Umfragen. Es war ein Abend ohne größere Ausrutscher, aber es hätte anders kommen können: Legendär ist die Debatte, als Präsident Gerald Ford 1976 meinte, die Länder Osteuropas seien nicht Teil der sowjetischen Einflußsphäre. Oder als sich 1988 der Demokraten-Kandidat Michael Dukakis mit seiner Einlassung, er sei auch dann gegen die Todesstrafe, wenn jemand seine Frau Kitty vergewaltige und umbringe, um Kopf und Kragen redete.

Trump erfreut über den Sinneswandel von Ted Cruz

Clinton stand angesichts sinkender Umfragewerte und Fragen nach ihrer Gesundheit unter Druck. Aber die Ex-Außenministerin konnte sich 90 Minuten auf den Beinen halten, Erste Hilfe war nicht notwendig. Trump, mehrfach politisch totgesagt, in den meisten Umfragen anfangs zweistellig zurückgelegen, kam in einer kurz vor der Debatte veröffentlichten Umfrage der Washington Post auf 44 Prozent, seine Rivalin auf 46 Prozent. Ein Rückstand dieser Größe ist angesichts des Electoral-College-Systems und der Dynamik, die ein starker Drittparteienkandidat wie Gary Johnson ins Rennen bringt, vernachlässigbar: In Utah holte Mitt Romney 2012 73 Prozent der Stimmen, Trump liegt bei 53 Prozent. Daß solche Rückgänge in „republikanischen“ Staaten aber Auswirkungen auf die landesweiten Zahlen haben, liegt auf der Hand.

Um Terrain zurückzuerobern hatte sich Clinton wochenlang akribisch auf den Showdown in der Hofstra-Universität im New Yorker Stadtteil Long Island vorbereitet – und sie ging in die Offensive. Als sie Trump aufforderte, wie alle Kandidaten in den vergangenen 40 Jahren (mit Ausnahme von Gerald Ford) seine Steuererklärung öffentlich zu machen, kam dieser ins Schwimmen. Genüßlich spekulierte Clinton über Trumps mögliche Gründe: „Vielleicht ist er nicht so reich wie er sagt, oder vielleicht nicht so großzügig, wie er sagt, oder vielleicht hat er nie Einkommenssteuer gezahlt.“ Trump rechtfertigte sich damit, seine Anwälte hätten ihm dazu geraten, die Steuererklärung nicht zu veröffentlichten, da sie sich derzeit noch in der Prüfung durch die Steuerbehörde IRS befinde. Er versprach, sie aber dann vorzulegen, wenn Clinton die mehr als 30.000 E-Mails offenlege, die sie vor den Ermittlern des FBI verheimlicht und rechtzeitig gelöscht hatte. Ein Konter, der aber offenbar das politische Kurzzeitgedächtnis mancher Amerikaner etwas überforderte.

Ein weiterer Trump-Treffer: Clintons Kursschwenk bei der Transpazifischen Partnerschaft TPP, die sie erst befürwortete, unter dem Druck des Vorwahlkampfs, in dem ihr linker Herausforderer Bernie Sanders sie immer wieder deswegen angriff, aber nun ablehnt. Laut Trump, der sich massiv gegen Freihandelsabkommen stemmt, wird TPP wie Nafta die Abwanderung weiterer Jobs ins Ausland zufolge haben: „Schaut nach Michigan und Ohio. Wir dürfen nicht länger zulassen, daß uns unsere Arbeitsplätze gestohlen werden.“

Krauthammers Analyse, wonach das Duell unentschieden ausging, bezieht sich vor allem auf die atmosphärische Ebene der Debatte. Trump ist es gelungen, sich entgegen alle Erwartungen nicht provozieren zu lassen. Den von fast allen Medien im Verlauf der vergangenen Monate hervorgerufenen Eindruck, hier werde möglicherweise ein Verrückter ins Weiße Haus einziehen, der schon mal an einem schlechten Tag mit der Atombombe herumspielen werde, hat Trump mit seiner ruhigen, ungewohnt defensiven Art in der Nacht zu Dienstag zerstreut. Selbst als Clinton ihm vorwarf, er habe sich in der Vergangenheit immer wieder frauenfeindlich geäußert, blieb er ruhig. Das renommierte Wirtschaftsmagazin Forbes sah es ähnlich wie Krauthammer: Trump habe die Erwartungen übertroffen und es ähnlich wie der unerfahrene Senator John F. Kennedy 1960 gegen Richard Nixon geschafft, der Berufspolitikerin Clinton Paroli zu bieten.

Wichtiger noch als die Debatte mit Clinton, die am 9. Oktober ihre Fortsetzung finden wird, war für Trump die Unterstützung seines erbitterten innerparteilichen Rivalen Ted Cruz wenige Tage zuvor. Noch auf dem Parteitag hatte dieser sich geweigert, sich auf Trumps Seite zu schlagen und empfahl den Wählern lediglich, am 8. November ihrem Gewissen zu folgen. Offenbar war Cruz’ Angst, als der Schuldige zu gelten, falls Trump in dem sich abzeichnenden Kopf-an-Kopf-Rennen mit Clinton verlieren würde, zu groß.