© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/16 / 30. September 2016

Vater aller Dinge oder Geißel der Menschheit
Zwei Bände nähern sich dem anthropologischen Phänomen „Krieg“ im Verlauf der Geschichte der letzten Jahrtausende
Karlheinz Weißmann

Sollte man einen Pazifisten Kriegsgeschichte schreiben lassen? Ist jemand, der in militärischen Aktionen nur eine Form von Massenmord, im Soldaten das Produkt einer „Abrichtung“ und im Helden einen pathologischen Fall sieht und ansonsten die Meinung vertritt, daß man den Krieg – eine gewisse Anstrengungsbereitschaft vorausgesetzt – auch bleibenlassen könnte, geeignet, um einen so entscheidenden Aspekt der menschlichen Entwicklung zu behandeln? Wenn man das Buch „Die Söhne des Mars“ von Armin Eich gelesen hat, wird man diese Fragen eher verneinen. 

Eich liefert zwar eine durchaus kenntnisreiche Darstellung der Vorgänge, die parallel zum Aufbau der städtischen Zivilisationen und der ersten Staaten auch zur Steigerung organisierter Gewalt geführt haben. Aber diese Leistung gleicht doch die Defizite der Arbeit nicht aus. Schon die chronologische Abgrenzung erscheint wenig plausibel. Zwar liegt es für einen Althistoriker nahe, sich auf die Antike zu konzentrieren, aber der zeitliche Einschnitt bleibt willkürlich und blendet entscheidende qualitative Veränderungen der Kriegsführung in der Folgezeit aus. 

These von der Wahl zwischen Krieg und Frieden

Irritierend wirken weiter die Oberflächlichkeit, mit der Eich die außerhalb Europas beziehungsweise des Mittelmeerraums liegenden Vorgänge behandelt und das Fehlen eines anthropologischen und ethnologischen Unterbaus. Die Behauptung jedenfalls, daß Rousseau recht hatte und die Menschheit durchaus die Wahl zwischen hierarchischer Formation und Kriegführung einerseits, Egalität und Friedfertigkeit andererseits, kann angesichts des faktischen Verlaufs der Geschichte kaum überzeugen. Damit ist nicht bestritten, daß es immer auch Sozialverbände gegeben hat, die nicht kriegsfähig waren. Aber selbst in Eichs Schilderung wird klar, daß es sich um an den Rand gedrängte oder dauerhaft unterworfene Menschengruppen handelte, die schlimmstenfalls die Feigheit zur Maxime des Daseins erhoben, jedenfalls kaum geeignet sind, das unter Beweis zu stellen, was dem Verfasser als „menschliches Potential für den Frieden“ so sehr am Herzen liegt.

In vieler Hinsicht darf der Sammelband „Krieg – Eine archäologische Spurensuche“, herausgegeben vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, als Ergänzung und Korrektur der Arbeit von Eich dienen. Da es sich um ein Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle handelt, ist der zeitliche Rahmen zwar auch ein begrenzter – im Zentrum stehen die Anfänge der Menschheit, es gibt lediglich einen Ausblick auf den Dreißigjährigen Krieg –, aber ansonsten werden hier Ausführungen geboten, die fast jeden Aspekt dieser Thematik einbeziehen.

Überraschend wirkt dabei der unverstellte Blick auf die naturhaften Voraussetzungen des Krieges. So erfährt man etwa, daß schon die im Sinne der Soziobiologie „intelligenten Strategien“ bei Ameisen dazu führen, nicht nur „Staaten“ zu bilden, sondern auch eine Art Werkzeuggebrauch, Straßen- und Gebäudebau, Viehzucht und Vorratshaltung fördern. 

Angesichts dessen wenig überraschend, daß sich kollektive Gewaltanwendung gegen Artgenossen als erfolgreiches Konzept erwiesen hat, um die Interessen der eigenen Gruppe gegen die anderer durchzusetzen. Trotzdem bleibt die Distanz zwischen dieser Spezies und dem homo sapiens sehr groß. Der Abstand zwischen dem und seinem Nächstverwandten im Tierreich mag geringer sein, ein prinzipieller Unterschied zwischen dem Krieg des Menschen und der Gruppenaggression von Schimpansen wird in einer weiteren Abhandlung des Bandes hervorgehoben. Zwar betont der Verfasser die Ähnlichkeit zwischen den Grenzkonflikten, die diese Primaten austragen, und dem, was wir über primitive Kriege wissen, mehr noch, in vieler Hinsicht kann von einem „Modell für frühmenschliches Verhalten“ gesprochen werden, aber die entscheidende Differenz besteht eben darin, daß zum Krieg der Menschen der Waffengebrauch gehört, der dem Menschenaffen fremd bleibt. 

Dieser eindeutige Befund wird durch die Feststellung bestimmter sozialer und kultureller, aber auch genetischer Voraussetzungen lediglich ergänzt. Wenn man dabei den Blick auf die Disposition von Männern und Frauen beschränkt und die Frage unbeantwortet läßt, was es mit künstlicher Auslese zugunsten von Aggressivität in kriegerischen Völkern auf sich hat, zeigt das allerdings gewisse Grenzen der wissenschaftlichen Offenheit. Aber das ist ein Ausnahmefall, so wie auch das seltsame Postulat einer Gruppe katalanischer Prähistoriker, die Geschichte des Krieges sollte als Appell dienen, „eine neue und gleichzeitig menschheitsgeschichtlich alte Welt sozialer Beziehungen zu fördern ohne Opfer, Eigentum und Wettkampf“. 

Derartige Verbeugungen vor den Regeln politischer Korrektheit spielen ansonsten aber kaum eine Rolle. Vielmehr werden in dem voluminösen und mit zahllosen Abbildungen versehenen Band Abhandlungen geboten, die auf alle möglichen Aspekte nicht nur des Urkriegs eingehen, sondern vor allem die wachsende Bedeutung militärischer Konflikte in Neolithikum und Bronzezeit behandeln. Beiden Phasen der Menschheitsgeschichte kam entscheidende Bedeutung zu. Der Jungsteinzeit insofern, als die Seßhaftwerdung nicht nur Auseinandersetzungen mit denen heraufbeschwor, die an der älteren Existenz als Wildbeuter festhielten, sondern auch Verteilungskämpfe um Landbesitz auslösen konnte, eine Ressource, die bis dahin kaum Bedeutung hatte. 

Fortschritt galt immer auch für die Waffentechnik

Die Bronzezeit wirkte sich vor allem dahingehend aus, daß Fortschritt der Technik eben immer auch Fortschritt der Waffentechnik war und die stärkere Zusammenfassung der menschlichen Gemeinschaften und deren effiziente Organisation überhaupt erst die Voraussetzungen für das schufen, was den Krieg im genaueren Sinn des Wortes ausmacht. Dabei zeichnen sich nur allmählich klarere Konturen des Bildes dieser Ausgangsphase ab. Wenn es die Forschung im Hinblick auf das zweite vorchristliche Jahrtausend am einen Ende der Welt – in der Nähe der mecklenburgischen Tollense – noch mit anonymen Verbänden zu tun hat, deren Aktionen lediglich von der Archäologie rekonstruiert werden können, die auf eine überraschend große Zahl von Skelettresten mit Gewaltspuren stieß, dann muß sie sich am anderen – bei der Schlacht von Kadesch im heutigen Syrien – schon mit ganz konkreten politischen Akteuren unter Anführern befassen, deren Namen und deren Maßnahmen, etwa den dem Krieg folgenden Friedensschluß, wir auch aus den Quellen kennen.

Fest steht jedenfalls, daß damals ein Prozeß in Gang gesetzt wurde, der zwar im Lauf der Zeit die Waffenarten veränderte, die Kampfdauer wie den Kampfplatz ausdehnte, sich aber doch im wesentlichen kontinuierlich bis in unsere Gegenwart fortsetzte, zu einem Ende, von dem niemand weiß, wie es aussehen wird.

Armin Eich: Die Söhne des Mars. Eine Geschichte des Krieges von der Steinzeit bis zum Ende der Antike. Verlag C. H. Beck, München 2015, gebunden, 281 Seiten, 24,95 Euro

Landesamt für Archäologie Sachsen-Anhalt / Landesmuseum für Vorgeschichte (Hrsg.): Krieg – Eine archäologische Spurensuche. Theiss Verlag, Darmstadt 2016, gebunden, 488 Seiten, Abbildungen, 39,95 Euro