© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/16 / 30. September 2016

Fatale Folgen eines Regimewechsels
Der australische Politologe Tim Anderson weist den USA große Schuld am syrischen Bürgerkrieg zu
Klaus Hornung

Der Krieg in Syrien hat sich in bald sechs Jahren Dauer zu einer Katastrophe ausgewachsen, nicht nur für Syrien, sondern in der ganzen Region des Mittleren Ostens und Nordafrikas, durch die Flüchtlingsinvasion auch bis Europa und Deutschand. Doch die Kenntnis seiner Ursachen und Hintergründe sind in der Welt vielfach vage und oberflächlich geblieben. 

Tim Anderson, australischer Politikwissenschaftler, sieht die Verantwortung für diesen unbefriedigenden Zustand vor allem bei den Leitmedien des Westens, die von Anfang an die Schuld am Krieg dem syrischen Machthaber Baschar al-Assad zuwiesen und damit bis heute die globale öffentliche Meinung beherrschen. 

Anderson greift mit seiner Ursachenanalyse bis auf die islamistische Attacke auf die amerikanischen Machtzentren in New York und Washington am 11. September 2001 zurück und auf die Reaktion des Präsidenten George W. Bush mit der großen Militärintervention der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten gegen das Afghanistan der Taliban noch im Herbst 2001 und dann gegen den Irak des Diktators Saddam Hussein 2003. Washington hatte dazu die Strategie des regime change, des gewaltsamen Wandels des Mittleren Ostens zur Demokratie westlichen Musters entworfen. 

Ab 2011 begann dann der im Westen gefeierte „arabische Frühling“ in Tunesien, Ägypten, Libyen und schließlich in Syrien, eine Propagandaformel, mit der sich die amerikanische Strategie tarnte. In Tunesien führte sie zu einem mehr schlechten als rechten Ergebnis, am Nil sogar zu einer kurzen Phase der Regierung der Moslembrüder, die von einer neuen Militärregierung abgelöst wurde, in Libyen führte der Sturz Gaddafis bis heute zu Chaos und zum Vordringen des Islamismus. In Syrien begannen 2011 angeblich „demokratische Aufstände“, angestoßen durch Waffenlieferungen und Finanzhilfen aus Saudi-Arabien, Kuwait, Israel und der Türkei, die sich als Bundesgenossen als bewaffnete Stellvertreter Washingtons im „syrischen Freiheitskampf‘ erwiesen mit dem Ergebnis einer verwirrenden Vielfalt der Akteure, nicht selten auch eines Doppelspiels, in dem Freund und Feind nur noch schwer auszumachen waren und sind.

Anderson will den westlichen Zeitgenossen und Medienkonsumenten einen Überblick über diese irritierende Kriegslandschaft vermitteln und insbesondere die meist einseitige Berichterstattung der westlichen Medienindustrie korrigieren, die von Anfang an Assads Diktatur die wesentliche Verantwortung für den Konflikt zuschob und ein Propagandabild seiner Kriegführung „gegen das eigene Volk“ und die wehrlose Zivilbevölkerung entwarf. Noch wirkt die Berichterstattung über die „Faßbomben“ des Regimes, denen angeblich Tausende von Frauen und Kindern zum Opfer fielen, später über seine völkerrechtswidrigen Giftgasangriffe gegen die „Aufständischen“ nach. 

Die Demokratiekonzepte sind allesamt gescheitert

Dem Autor ist mit umfangreichen Recherchen, auch unter Benutzung von Dokumenten verschiedener UN-Untersuchungsausschüsse gelungen, das Assad-Regime von vielen dieser Vorwürfe zu entlasten. Und er nennt Roß und Reiter, um die einseitige Parteinahme der westlichen Medienmonopole und ihrer Syrien-Berichterstattung offenzulegen, etwa die britische BBC, den Manchester Guardian, die New York Times und selbst Al Jazeera, das sich in Besitz des Sultans von Katar befindet. Ebenso nennt er eine große Zahl der angeblich verläßlichen Nichtregierungsorganisationen wie Amnesty International, die Human Rights Watch oder das israelische Institut Avaaz, die seit Jahren das Bild der entmenschten Kämpfer des Assad-Regimes und der moralisch überlegenen „Freiheitskämpfer“ der Gegenseite entwarfen, das zumal auch die Medien der Bundesrepublik häufig kritiklos übernehmen.

Die Herausgeber der deutschen Ausgabe weisen darauf hin, daß auch der Verfasser gewisse Züge der autoritären Diktatur Assads, Geheimdienste und Foltervergehen, nicht verkennt. Doch die Prognose Andersons über den schließlichen Ausgang des Syrienkrieges ist deutlich. Er hält das Konzept der Vereinigten Staaten zum Systemwandel in Richtung westlicher Demokratie für  gescheitert. Dagegen hat sich eine neue Front von Verbündeten mit Iran, Irak, Syrien, der Hisbollah, den Kurden und neuerdings auch Rußland gebildet mit dem Ziel eines „neuen Mittelostens“, von dem man nur hoffen kann, daß daraus nicht neue Konflikte entstehen.

Tim Anderson: Der schmutzige Krieg gegen Syrien: Washington, Regime Change und Widerstand. Liepsen Verlag, Marburg 2016, broschiert, 280 Seiten, 15 Euro