© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/16 / 30. September 2016

Lecks in der Modellfabrik der Zukunft
Das Energiesparpotential in der Industrie ist enorm, aber nicht alle neuen Ideen sind sofort praxistauglich
Christoph Keller

Der international erfahrene Energiesicherheitsexperte Manfred Haferburg macht sich keine Illusionen: „Ohne eine billige, zuverlässige und großindustriell nutzbare Speichertechnologie muß die Energiewende scheitern. Und diese Speicher-Technologie ist noch nicht erfunden“, konstatierte der Diplomingenieur für Maschinenbau und Kernenergetik auf dem Autorenblog „Die Achse des Guten“. Selbst wenn die Sonne öfter schiene und der Wind 364 Tage im Jahr durchwehte, wäre ein Zweitkraftwerkspark mit 100 Prozent Kapazität für die paar Stunden nötig, in denen es windstill und stockdunkel ist: „Sonst bricht das Stromnetz zusammen – es gibt einen Blackout. Das ist der unheilbare Konstruktionsfehler der Energiewende“, so Haferburg.

Unrealistisches Energiekonzept?

Doch Haferburgs berechtigte Kritik hat nur eine der beiden Säulen der politisch initiierten Energiewende – die „Erneuerbaren“ und die nicht vorhandenen Speicher für Wind- und Sonnenstrom – im Blick. Die andere Säule, die Energieeinsparung, scheint allerdings auch nicht sonderlich tragfähig. Hierzu wäre nicht allein auf einzelne Sparten wie den inzwischen als illusorisch erkannten massenhaften Umstieg auf Elektroautos zu verweisen. Liest man nämlich aufmerksam die peniblen Effizienzstatistiken der von Verbänden der Energiewirtschaft und Forschungsinstituten getragenen Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen (AGE), sieht es vielmehr insgesamt danach aus, als könnten die Sparziele für 2020, wie sie das von der schwarz-gelben Bundesregierung 2010 vorgelegte Energiekonzept vorgibt, kraß verfehlt werden. Bis 2020 soll demnach der Primärenergieverbrauch um 20 Prozent sinken. 2015 registrierte die AGE hier aber erst sieben Prozent Einsparung. Maximal 10,2 Prozent Reduktion, so filtert der auf Umweltthemen spezialisierte Mainzer Journalist Michael Brüggemann aus derzeit kursierenden Prognosen heraus, ließen sich daher jetzt noch realistischerweise erreichen (Natur, 9/16).

Die „Lücke“ von knapp zehn Prozent wäre allerdings in einer Art Aufholjagd wohl annähernd zu schließen, wenn in Industrie, Gewerbe, Handel und Dienstleistungen eine höhere Primärenergieeinsparung gelänge. Zumindest nach Berechnungen der öffentlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), die Brüggemann zitiert. Der dazu von ihm befragte Fertigungstechniker Alexander Sauer, seit 2015 Leiter des Instituts für Energieeffizienz in der Produktion an der Universität Stuttgart, äußert sich angesichts der überall in deutschen Betrieben „anders gesetzten Prioritäten“ indes skeptisch.

Gerade in kleineren und mittleren Betrieben fehle es an Personal, Zeit und Know-how, um energetische Einsparmöglichkeiten zu identifizieren. Das Management kümmere sich in der Regel vordringlich ums operative Geschäft, aber kaum um „schlecht gedämmte Öfen oder Maschinen, zu lange Leitungswege, überdimensionierte Antriebe, Leckagen oder ungenau eingestellte Motoren mit schlechtem Wirkungsgrad“. Bislang habe man es daher hingenommen, wenn beispielsweise etwa bei alten, nicht drehzahlgeregelten Kompressoren 95 Prozent der Energie, die zur Erzeugung von Druckluft verbraucht werde, als Abwärme verpuffe. Solcherlei Verschwendung bleibe in vielen Betrieben verborgen, weil sie nur über den Gesamtenergieverbrauch Buch führen, „aber nicht konkret wissen, wo sie was verbrauchen“.

Pumpen, Ventilatoren und Kompressoren fressen Strom

Damit sich dieser Mißstand ändert, haben Forscher der TU Darmstadt auf dem dortigen Campus „Die energieeffiziente Modellfabrik der Zukunft“ eröffnet. Ziel sei, „verschiedene interdisziplinäre Ansätze zur Reduktion des Energieverbrauchs und des CO2-Ausstoßes“ bei der industriellen Produktion zu vereinen. Das als „Energieeffizienz-, Technologie- und Anwendungszentrum“ (ETA) firmierende Projekt leitet der Darmstädter Wirtschaftsingenieur Martin Beck. Da die Industrie die Hälfte des in Deutschland erzeugten Stroms verbraucht, setzt das ETA an neuralgischen Punkten wie Pumpen, Ventilatoren und Kompressoren an, wo Beck das Einsparpotential als „enorm“ einstuft.

So würden in der Autoindustrie häufig überdimensionierte Pumpen verwendet, die Bauteile spülen und dabei für kleine Teile exakt so viel Wasser liefern wie für große. In der Halle seiner Pilot-Fabrik führt Beck Brüggemann hingegen vor, wie sich ein typischer Prozeß der metallverarbeitenden Industrie aus Drehen, Bohren, Reinigen und Montieren optimieren und Leerlaufverluste sich soweit reduzieren lassen, daß gestopfte „Energielecks“ um bis zu 70 Prozent Strom sparen.

Beck und seine Mannschaft legen die Latte indes höher. Ihr ETA ist als Vorbild für die „Industrie 4.0“ gedacht, wo Maschinen, Anlagen und Produkte so „intelligent vernetzt“ sein sollen, daß sie sich untereinander abstimmen. Perfektionieren lasse sich diese Idealfabrik schließlich durch eine auf Energieeinsparung gedrillte Gebäudeplanung – was sich aber erst weit nach 2020 auswirke.





Lernfabrik für Energieproduktivität

Lohnsenkung durch Ausgliederung, Leiharbeit, Scheinselbständigkeit oder Werksverträge, Arbeitsverdichtung und unendliche Zeitverträge zur Disziplinierung – die simplen Konzepte von Unternehmensberatern sind allseits bekannt. McKinsey und das Institut für Produktionsmanagement der TU Darmstadt (PTW) setzten in einem Gemeinschaftsprojekt hingegen auf technische Optimierungsansätze: „Energie hat sich für die deutsche Wirtschaft zu einem strategischen Wettbewerbsfaktor entwickelt“, heißt es bei der McKinsey-Lernfabrik für Energieproduktivität (LEP). Deutsche Unternehmen nutzten keineswegs alle Möglichkeiten, um ihre Energiekosten zu senken, obwohl das Potential bei bis zu 30 Prozent liege. Bei den LEP-Workshops kämen „die innovativsten Technologien in Verbindung mit Industrie 4.0 zum Einsatz“. Teilnehmer könnten danach „kritische Versorgungs- und Verbrauchsparameter optimieren, Lastzyklen studieren und operative Abläufe optimal anpassen“.

Lernfabrik für Energieproduktivität (LEP): energielernfabrik.mckinsey.de