© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/16 / 30. September 2016

Ab in die Presse
Besser als der teure Einkauf beim Discounter – eigener Obstsaft sollte es schon sein
Bernd Rademacher

Goldener Herbst – Erntezeit! Jetzt hängen Äpfel, Birnen, Zwetschgen und Co. prall und saftig an den Bäumen und warten darauf, gepflückt zu werden. Doch was dann? Oft kann man das Obst gar nicht so schnell verzehren, wie es braun wird. Das Einkochen zu Marmelade ist vielen zu aufwendig. Die beste Lösung: Pressen Sie Ihren eigenen Fruchtsaft!

Rund 300 kleine Mostereien gibt es über ganz Deutschland verstreut, von der See bis zu den Alpen. Dort können Garteninhaber ihr Obst zu Saft pressen lassen und diesen gleich mit nach Hause nehmen. Zum Beispiel in der Erlebnismosterei Lübeck: Zum vereinbarten Termin liefern die Kunden ihre Früchte in Kisten und Kartons an. Es gilt eine Mindestmenge von 50 Kilogramm. 

Oft schließen sich deshalb mehrere benachbarte Familien zusammen. Äpfel, Birnen oder Quitten werden gewaschen und in der Mühle zerkleinert. Die Maische kommt in die Presse und von dort in den 5-Liter-Kanister. Das erste Glas direkt aus der Presse schmeckt unvergleichlich köstlich! Und garantiert ohne Zucker oder sonstige obskure Zusätze der Lebensmittelindustrie. Wer will, kann sein Obst abgeben und später verflüssigt wieder abholen, doch die meisten möchten beim Prozeß dabeisein und zuschauen. Egal, ob sortenrein oder gemischt: Der Liter kostet hier nur 99 Cent. Und dafür sind Herkunft und Herstellung auch noch hundertprozentig transparent.

Streuobstwiesen müssen erhalten bleiben

Zu den stationären Mostereien sind in den letzten zehn Jahren deutschlandweit hundert mobile gekommen. Ein neues Geschäftsmodell, hauptsächlich von naturschutzaffinen Idealisten. Die meisten festen Mostereien gibt es in Baden-Württemberg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Die Mobilen erfüllen in weniger versorgten Regionen einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der Streuobstwiesen durch deren Nutzung. Rund 300.000 Hektar traditionelle Streuobstwiesen gibt es noch in Deutschland. Jährlich liefern die fahrenden Obstpressen über fünf Millionen Liter Saft!

Ein eigener Obstbrand ist auch nicht zu verachten

Auf dem Internetportal www.streuobst.de sind alle mobilen und stationären Mostereien nach Postleitzahlen sortiert mit Adressen und Kontaktmöglichkeiten verzeichnet. Dabei fällt auf, daß es in den östlichen Bundesländern ein dynamisches Wachstum von diesen Kleinunternehmen gibt. Eine wirtschaftliche Perspektive für strukturschwache Regionen? Wie auch immer: Bei manchen Betrieben wird das Obst aller Anlieferer zusammengemischt versaftet. Die Kunden bekommen dann einen Gutschein für ihren Anteil an der Gesamtmenge. Auf streuobst.de sind dagegen nur solche Mostereien registriert, bei denen die Kunden tatsächlich den Saft aus dem eigenen Obst zurückerhalten. Die Liste ist auch ein Instrument für die Mostereien, sich untereinander zu vernetzen.

Im eigenen Interesse sollte man nur frisches Obst ohne Druckstellen oder Würmer anliefern. Wer sich aus Apfelsaft nicht viel macht, für den gibt es noch eine spezielle Alternative: Schauen Sie doch mal, ob es in Ihrer Nähe eine Lohnbrennerei gibt, die aus Ihrem Fallobst – oder dem oftmals unbeachtet am Straßenrand liegenden Obst – einen feinen Obstbrand destilliert.