© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/16 / 07. Oktober 2016

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Ohne Fürsprecher Ost
Paul Rosen

Gespensterhafte Debatten hat es im Bundestag schon immer gegeben: Renten sind sicher, der Euro ist stabil, Migranten sind in unbegrenzter Zahl willkommen, heißen die Stichworte, um die sich floskelhafte Reden der Abgeordneten ranken, die oft den Eindruck erwecken, sie hätten mit der Realität kaum noch etwas zu tun. 

In der vergangenen Woche wurde diese für jeden Freund der parlamentarischen Demokratie traurige Erkenntnis bestätigt: Das Hohe Haus debattierte über den Jahresbericht zur deutschen Einheit. Darin steht neben allerlei Zahlen zur Entwicklung von Löhnen und Renten die Forderung, die Bürger der neuen Länder müßten mehr „Offenheit und Toleranz“ an den Tag legen, sprich, freundlicher zu Migranten werden. Und die zahlreichen Anschläge rechtsextremer Gewalttäter (zum Beispiel in Sachsen pro eine Million Einwohner 49,6 Gewalttaten) würden dazu führen, daß Investoren einen Bogen um die neuen Länder machten und diese in der wirtschaftlichen Entwicklung zurückfielen. 

Einen Beleg für diese kruden Thesen konnte die zuständige Parlamentarische Staatssekretärin Iris Gleicke (SPD) nicht vorbringen. Trotzig blieb Gleicke in der Debatte bei ihrer These: „Ich betrachte es als meine Aufgabe, die Probleme, die der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse entgegenstehen, klar und deutlich zu benennen.“ Benannt hat sie allenfalls ihre Phantasievorstellungen, denn die Zahl der linksextremistischen Gewalttaten in Sachsen ist mit 69,8 Taten pro eine Million Einwohner weit höher als die rechtsextremistischer Taten. 

Diese Zahl spielte in der Debatte keine Rolle. Sie ist auch nicht leicht im Bericht zu finden, weil sie von der Regierung gut im hinteren Teil versteckt wurde. Die Tarnung hat funktioniert, kein Redner der CDU/CSU ging auf die Zahlen ein, während die Redner von SPD, Linken und Grünen das gewohnte „Kampf-gegen-Rechts-Programm“ durchzogen.

Nur Eckhardt Rehberg, ein CDU-Hinterbänkler, wagte es, Gleicke in die Parade zu fahren: „Sie stigmatisieren 16 Millionen.“ Obwohl die NPD im Landtag seines Heimatlandes Mecklenburg-Vorpommern gewesen sei, sei kein Tourist weniger gekommen. Arnold Vaatz (CDU) sprach linksextreme Gewalt wie in Leipzig-Connewitz an, verlor sich aber in einer von Zynismus durchzogenen Rede in Wortspiele und der Empfehlung, Trier in Karl-Marx-Stadt umzubenennen, weil der Name frei sei. Hier war die Verbitterung eines Ost-Politikers zu spüren, den zu vieles im Bundestag an die Zeiten vor dem Mauerfall zu erinnern scheint. Man muß schließlich nur „Kampf gegen rechts“ durch „Antifaschismus“ oder „Antiimperialismus“ ersetzen. 

Erstaunlich war, daß von der CDU/CSU kein Funktionsträger das Wort ergriff. Innenminister Thomas de Maizière und der Fraktionsvorsitzende Volker Kauder schwiegen, als Gleicke loslegte. Auch von den ostdeutschen Ministerpräsidenten war keiner erschienen, obwohl ihre Bürger in dem Einheitsbericht  pauschal beschimpft werden, die Chancen der Zuwanderung zu verspielen. Die Bank der Länder blieb leer, die Ostdeutschen sind Freiwild einer Debattenunkultur.