© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/16 / 07. Oktober 2016

Al-Andalus von den Ungläubigen befreien
Spanien: Sicherheitsbehörden schlagen Alarm / Islamisten auf dem Sprung nach der Iberischen Halbinsel
Michael Ludwig

Die spanischen Sicherheitsbehörden schlagen Alarm. Analysen des Geheimdienstes CNI, der Nationalpolizei und der Guardia Civil haben ergeben, daß der Islamische Staat (IS) seine gewaltbereite Hand nach der Iberischen Halbinsel ausstreckt. Ein hoher Polizeioffizier brachte die Bedrohungslage mit einem einzigen Satz auf den Punkt: „In Zukunft wird sich die Situation dramatisch zuspitzen, weil die Radikalen mehr und mehr auf Angriff aus sind.“

In der spanischen Hauptstadt blickt man besonders sorgenvoll auf die gegenüberliegenden Magreb-Staaten, aber auch auf Libyen, in dem nach wie vor ein Bürgerkrieg tobt. „Wir gehen davon aus, dass der IS im Augenblick dabei ist, seine Logistik in Tunesien, Algerien und Marokko auszubauen. Von dort aus ist es nur noch ein Katzensprung zu unseren Küsten“, heißt es in den zuständigen Madrider Ministerien. 

Mehr als 500 Dschihadisten wurden bereits verhaftet

Nach Ansicht der Behörden braucht der Islamische Staat nach seinen Geländeverlusten in Syrien und im Irak spektakuläre Erfolge, um sein Image aufzupolieren. Erfolge heißt in diesem Zusammenhang möglichst viele blutige Attentate, vor allem in Europa.

Während in Marokko relativ geordnete Verhältnisse herrschen, das dortige Königshaus enge freundschaftliche Verhältnisse mit dem spanischen pflegt, und bilaterale Verträge für Sicherheit sorgen, sieht die Lage in Tunesien und Algerien schon anders aus. Im März vergangenen Jahres überfielen Islamisten das Nationalmuseum von Bardo in Tunis – 24 Menschen starben, darunter 20 Touristen. Drei Monate später richtete ein Terrorist an einem Badestrand nahe der Stadt Sousse ein Blutbad an. Mit seiner Kalaschnikow schoss er wahllos in die Menschenmenge und warf Handgranaten. Die Bilanz: 38 Tote.

 Auch in Algerien ist die innenpolitische Lage alles andere als stabil. Vor zwei Jahren überfielen IS-Kämpfer ein Ölfeld von Britisch Petroleum (BP). Bei der Befreiungsaktion der algerischen Armee kamen 37 Geiseln ums Leben. „Algerien hat eine lange Tradition bewaffneter islamistischer Zellen im Untergrund“, sagt die Nahost-Expertin Isabelle Werenfels von der Stiftung Wissenschaft und Politik. In Libyen stehen sich nach wie vor westlich orientierte Einheiten, die von der Regierung in Tripolis befehligt werden, und Milizen des IS gegenüber, die ihr Hauptquartier in Tobruk aufgeschlagen haben.

Daß nun Spanien ins Visier der radikalen Moslems geraten ist, hat auch historische Gründe. Von 711 bis 1492 herrschten die Mauren über weite Teile Spaniens und Portugals, sie nannten sie Al-Andalus; von dieser Bezeichnung leitet sich der Name der südlichsten Provinz Spaniens ab: Andalusien. Nachdem die christliche Reconquista (Wiedereroberung) die Mauren nach Nordafrika zurückgeworfen hatte, blieb im kollektiven muslimischen Gedächtnis die Meinung verankert, nach wie vor einen legitimen Anspruch auf Spanien zu haben, dorthin zurückzukehren und die maurische Herrschaft zu erneuern. Erst kürzlich trat der Islamische Staat mit einem Video an die Öffentlichkeit, indem er gelobt, Al-Andalus von den Ungläubigen zu befreien: „Spanien ist das Land unserer Ahnen, und mit der Macht Allahs werden wir es zurückholen.“

Eine Invasion islamistischer Kräfte derzeit in Spanien ist natürlich absurd, aber zu blutigen Nadelstichen sind IS, al-Qaida & Co. durchaus fähig, das zeigen auch die Zahlen, die Madrids Innenminister Jorge Fernández Díaz im Mai auf einer afrikanischen Sicherheitskonferenz in Niger genannt hat. Danach sind in den vergannen zehn Jahren bei 124 verschiedenen Operationen insgesamt 568 Dschihadisten verhaftet worden. Seinen Angaben zufolge haben sich gegenwärtig mindestens 115 Männer und Frauen dem IS angeschlossen.

Vor allem die Konvertiten sorgen für Kopfzerbrechen 

Diese Zahl droht sich weiter zu erhöhen. Dutzende von potenziellen Selbstmordattentätern reisen aus dem benachbarten Frankreich nach Spanien ein, weil in Frankreich nach einer Reihe von spektakulären Anschlägen der Fahndungsdruck ausgesprochen hoch ist. In einem Interview mit dem Madrider Magazin El Confidencial erklärte ein anonymer spanischer Geheimdienstmitarbeiter: „Die kommen zu uns, weil sie hier eine größere Bewegungsfreiheit haben.“ Viele lassen sich in Katalonien und an der Mittelmeerküste weiter südlich nieder, um dort in muslimischen Gemeinden unterzutauchen. 

Besonderes Kopfzerbrechen bereitet den spanischen Sicherheitsbehörden die Konvertiten, also Einheimische, die zum Islam übergetreten sind. Ihre Zahl wird auf rund 50.000 geschätzt. Sie spielen für den Islamischen Staat eine ganz besondere Rolle. Wenn sie noch keinen islamischen Namen angenommen haben, werden sie dazu überredet, mit ihrem Geburtsnamen einen Waffenschein zu erwerben und so auf legale Weise Jagdgewehre zu kaufen. Außerdem sind Konvertiten besonders anfällig für die Radikalisierung. Sie werden einer regelrechten Gehirnwäsche unterzogen. Man stiftet sie an, Anschläge zu verüben, um so das Bekenntnis zu ihrem neuen Glauben zu beweisen.

Bereits Ende April vergangenen Jahres trafen sich im katalanischen Viladecans 130 Mitarbeiter der verschiedenen spanischen Polizeiorganisationen, um die gemeinsame Sorge über „das mangelnde Training der Strafverfolgungsorgane im Hinblick auf den Kampf gegen den dschihadistischen Terrorismus“ zu erörtern, so die renommierte Tageszeitung El Pais. Ein großer Teil des Treffens wurde darauf verwendet, Informationen darüber auszutauschen, wie man gewöhnliche Muslime von Salafisten und Dschihadisten unterscheidet. Doch das ist noch nicht alles. Nach Angaben eines Sicherheitsexperten ist eines der Hauptprobleme der Polizei, daß „Dschihadisten die Gesellschaft unterwandert haben; sie trinken Alkohol, essen Schweinefleisch, kleiden sich wie Westler und sind nicht aufzuspüren.“