© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/16 / 07. Oktober 2016

Die letzten Hoffnungen ruhen auf dem Vatikan
Venezuela: Der Heilige Stuhl könnte das krisengeschüttelte Land vor einem Bürgerkrieg retten, stellt allerdings Bedingungen
Miguel de Sigüenza

Venezuela gleicht einem Pulverfaß – ein Funke genügt, und das südamerikanische Land fliegt in die Luft. Nun soll Papst Franziskus die bereits brennende Lunte austreten und so einen drohenden Bürgerkrieg verhindern.

„Ich begrüße die Hochachtung, die Sie der katholischen Kirche entgegenbringen, und die sich dazu bereit erklärt, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, damit die Krise in Venezuela überwunden wird“, schrieb Kardinal Pietro Parolin, Staatssekretär des Papstes, an den Generalsekretär der Union Südamerikanischer Nationen (Unasur), Ernesto Samper, und bat gleichzeitig alle, „die das Schicksal des Landes lenken, ihre Rivalitäten und politische Feindschaft zu überwinden, sich als Brüder wiederzuerkennen und die gemeinsamen christlichen Wurzeln nicht aus den Augen zu verlieren.“

Der Appell des Vatikans ist vielleicht die letzte Chance, daß das südamerikanische Land doch noch zur Ruhe findet. Gegenwärtig versucht Unasur, ein Zusammenschluß zwölf südamerikanischer Staaten mit dem Ziel, „Ungleichheit, soziale Ausgrenzung, Hunger, Armut und Unsicherheit“ zu bekämpfen, zwischen Regierung und Opposition zu vermitteln. Als Mediatoren treten die früheren Regierungschefs José Luis Rodríguez Zapatero (Spanien), Martín Torrijos (Panama) und Leonel Fernández Torrealba (Dominikanische Republik) auf. Doch ihre Bemühungen blieben bislang erfolglos.

Der Vatikan stellt allerdings Bedingungen, bevor er sich auf die ihm angebotene Vermittlertätigkeit einläßt. Beide verfeindeten Seiten sollen ihm ein offizielles Mandat zur Mediation verleihen. Erst dann könnten, so heißt es aus Rom, die Verhandlungen beginnen.

Streit um Volksentscheid erhitzt die Gemüter

Hintergrund der hochexplosiven Lage in dem Karibikstaat ist der Antrag der bürgerlichen Opposition, eine landesweite Unterschriftenaktion genehmigt zu bekommen, um so einen Volksentscheid über den Verbleib des amtierenden linksgerichteten Regierungschefs Nicolás Maduro im Amt zu erzwingen. Nun hat die von der Regierung kontrollierte Wahlbehörde entschieden, die Unterschriftenaktion erst im März 2017 zuzulassen, was bedeutet, daß Maduro bis ins nächste Jahr hinein im Amt bleiben kann. 

Sollte er das Referendum verlieren, müßte er zwar seinen Posten aufgeben, aber dann könnte sein Vizepräsident die Macht übernehmen. Die Opposition hat nach dem Schiedsspruch sogleich weitere Massendemonstrationen angekündigt.

Daß sich die Situation derart zuspitzte, ist vor allem auf die wirtschaftliche Lage zurückzuführen. Noch vor einigen Jahren konnte Caracas auf sprudelnde Einnahmen aus seinen Ölexporten zurückgreifen, doch seit der Preis für Erdöl in den Keller gegangen ist, herrscht in den Kassen Ebbe. Hinzu kommen Korruption in den Verwaltungen und eine Kriminalitätsrate, die mit ihrer Höhe sogar in Südamerika ihresgleichen sucht. Die Versorgungslage ist katastrophal.

Erst kürzlich überquerten rund 40.000 Venezolaner die Grenze zum benachbarten Kolumbien, um sich mit Gütern des täglichen Bedarfs einzudecken.

Sollte es unter der Federführung des Vatikans zu einer Einigung zwischen den verfeindeten Parteien kommen, könnte er auf eine höchst erfolgreiche Vermittlerrolle verweisen – nach der konstruktiven Rolle im Ost-West-Konflikt trug er unter anderem wesentlich zur Annäherung zwischen den USA und Kuba, der Beendigung des Bürgerkriegs in Kolumbien, den Grenzstreitigkeiten zwischen Chile und Argentinien bei.