© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/16 / 07. Oktober 2016

Nicht mit jedem ins Bett
CDU/CSU-Kongreß widmete sich der Digitalisierung: Kritische Töne gegen den deutschen Mittelstand
Richard Stoltz

Der Scherz ging nach hinten los. „In den Behörden“, führte der baden-württembergische CDU-Landeschef Thomas Strobl auf dem diesjährigen „Unions-Themenkongreß“ von CDU und CSU in München aus, „sollten mindestens achtzig Prozent aller Dinge, die ein Bürger auf dem Amt macht, künftig digital erledigt werden können, außer vielleicht Heiraten.“ Der Beifall, den Strobl bekam, klang zögerlich. Einige Kongreßteilnehmer waren richtig erschrocken. 

Werden bei uns demnächst etwa, so fragten sie sich, sogar die Standesbeamten durch Algorithmen ersetzt, welche vor der Trauung erst einmal ausrechnen, ob die Ehewilligen zusammenpassen oder ob ihre Ehe nicht von vornherein auf Sand gebaut ist? Das Klima, das auf dem Kongreß herrschte, legte solche Befürchtung jedenfalls nahe. Algorithmen, Algorithmen und noch einmal Algorithmen.

Die Referenten, Bundesverkehrsminister Dobrindt zum Beispiel und eben Strobl, taten so, als sei Deutschland gerade dabei, zum erbarmungswürdigsten Entwicklungsland abzusinken, weil es sich nicht schnell genug digitalisiere. Unüberhörbar war dabei die Spitze gegen den Mittelstand. Die Misere, wurde immer wieder suggeriert, liege nicht bei der Großindustrie, sondern beim Mittelstand, speziell in dessen „Zögerlichkeit“ gegenüber gründlichem Planen und dem Umgang mit den Informationsmassen von „Big Data“.

Liegt aber nicht gerade in dieser Zögerlichkeit die Stärke unseres Mittelstandes? Er verdankt seine Erfolge und seinen Ruf ja in erster Linie seinem unermüdlichen Engagement für Qualität und die Sonderwünsche seiner Kunden. Ihm geht es in erster Linie nicht um „Big Data“, sondern um ständig wechselnde individuelle Daten. Er legt sich nicht schnell mit irgendwem ins Bett, sondern überlegt sich ganz genau, mit wem er sich verheiratet. Von ihm könnten auch CDU/CSU-Politiker viel lernen.