© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/16 / 07. Oktober 2016

„England ist nun in der Hand von Ausländern“
Die Schlacht von Hastings vor 950 Jahren zwischen den Normannen und Angelsachsen erfährt in den vergangenen Jahrzehnten eine neue Bewertung
Karlheinz Weißmann

In dem Ausstellungsraum von Battle, dem kleinen Ort, in dessen Nähe die Schlacht bei Hastings stattgefunden hat, kann man wählen. Der Besucher tritt auf eine von zwei Bodenplatten und entscheidet damit zwischen Wilhelm dem Normannen und Harald dem Angelsachsen. Die Ergebnisse fallen regelmäßig zugunsten Haralds aus, nicht dramatisch, aber deutlich genug. 

Dem entspricht eine gewisse Tendenz des offiziellen Gedenkens am 950. Jahrestag von „Ten Sixty Six“: Die königliche Münze hat eine Sonderprägung veranlaßt, die Harald, nicht Wilhelm, zeigt, vom Motiv ein deutlicher Unterschied zur Siegespropaganda, die man noch 1966 trieb; damals errichtete man auf der anderen Seite des Kanals, in der Normandie, sogar ein großes Kreuz zur Erinnerung an den Triumph Wilhelms, heute erscheint das Gedenken eher verschämt und sucht vom militärischen Aspekt des Geschehens abzulenken. Allerdings ist ohne das blutige Gemetzel des 14. Oktober 1066 die ganze folgende Entwicklung nicht zu verstehen. Aus Sicht der Briten markiert die Schlacht bei Hastings nach wie vor den wichtigsten Einschnitt ihrer Geschichte.

Alles begann mit dem Tod Eduards des Bekenners. Als er am 5. Januar 1066 kinderlos starb, gab es kaum Zweifel, daß es zu Kämpfen um die Thronfolge kommen würde. Mehr noch, es bestand die Gefahr, daß sich eine der zahlreichen Invasionen wiederholen könnte, die das Land seit zweihundert Jahren heimsuchten. Deren Ausgangspunkt war regelmäßig Skandinavien, und Wikinger hatten nicht nur Raubzüge unternommen, sondern sich auch festgesetzt und angesiedelt und schließlich mit den Angelsachsen eine labile Form der Koexistenz gefunden. 

Das erklärt etwas von dem merkwürdigen Umstand, daß nicht nur der Nachfolger Eduards, Harald Godwinson, Graf von Wessex, Wikingerblut in seinen Adern hatte, sondern auch seine Konkurrenten. Der erste war der Norweger Harald Hardrada, der im Norden Englands landete, auf York marschierte und die Stadt einschloß. Die Kapitulation konnte König Harald gerade noch abwenden und seinen Gegner in der Schlacht bei Stamford Bridge am 25. September 1066 vernichtend schlagen. Harald Hardrada selbst fiel im Kampf, das Häufchen der Überlebenden rettete sich an die Küste. Es genügten vierundzwanzig der mehr als dreihundert Schiffe, die ausgefahren waren, um sie in die Heimat zurückzubringen.

Die Normannen hatten sich in Frankreich assimiliert

Harald feierte seinen Sieg. Was unklug war. Denn schon drei Tage nach dem Sieg bei Stamford hatte Wilhelm, Herzog der Normandie übergesetzt und war westlich von Hastings an Land gegangen, ohne auf Widerstand zu stoßen. Die Mehrzahl seiner siebentausend Mann kam aus der Normandie, Vasallen, aber auch Freiwillige, die übrigen aus den angrenzenden Provinzen, vor allem der Bretagne und Flandern. Wilhelms Flotte transportierte neben einfachen Fußkämpfern und Bogenschützen zweitausend Reiter und mehr als sechstausend Pferde, drei für jeden Mann. Die normannische Kavallerie war gefürchtet. Die Pferde selbst nahmen am Kampf teil. Man hatte sie auf Aggressivität, Größe und Kraft gezüchtet, sie bissen und schlugen gegen den Gegner aus. Der Kämpfer saß in einem tiefen Sattel mit langen Steigbügeln, in denen er stehen konnte, um die Stoßlanze zu führen oder zu werfen. Dazu kamen als reguläre Waffen Schwert, Axt oder Streitkolben. 

Mit dem Wikingerheer, das im 8. Jahrhundert die Normandie eroberte, hatte die Armee Wilhelms nur noch wenig Ähnlichkeit. Damals hatten die Nordmänner das Land rasch besetzt, wurden aber in erstaunlich kurzer Zeit zu „Normannen“. 911 ließ sich ihr Anführer Rollo taufen und nahm die Normandie vom französischen König zu Lehen. Innerhalb von hundert Jahren siegte die französische Kultur, das skandinavische Idiom verschwand, die Normannen gaben ihr Heidentum und die Piraterie auf, führten das Lehenswesen ein und gewannen die Kirche als Verbündeten. 

Als Wilhelm 1035 Herzog der Normandie wurde, war seine Herrschaft aber alles andere als gesichert. Er zählte gerade sieben Jahre und trug den Beinamen „der Bastard“, weil er aus einer Liaison des verstorbenen Herzogs Robert mit einer Bauerntochter hervorgegangen war. Von allen Seiten bedrängt und gefährdet, seine Herrschaft wegen der illegitimen Abkunft in Frage gestellt, lernte Wilhelm früh, sich durchzusetzen und jedes Mittel zu nutzen. Das und seine ausgezeichneten militärischen Fähigkeiten sollten letztlich über den Ausgang des Kampfes mit Harald entscheiden.

Wenn Wilhelm nach dem Tod Eduards des Bekenners Anspruch auf den englischen Thron erhob, dann stand dahinter Machtkalkül. Die Behauptung, Eduard habe ihn als Nachfolger eingesetzt oder Harald habe ihm seine Rechte wenige Jahre zuvor abgetreten, wirkten immer vorgeschoben und spielten für den Entschluß zum Angriff so wenig eine Rolle wie der päpstliche Segen; Rom hatte immerhin ein geweihtes Banner geschickt. 

Harald unterschätzte Wilhelm als Gegner nicht. Am 1. Oktober hatte er von der Landung der Normannen erfahren und sich nach Süden gewandt. Seine Truppen legten die Distanz von vierhundert Kilometern in zwölf Tagen zurück. Allerdings waren sie im Kampf gegen Harald Hardrada dezimiert worden, von der Anstrengung erschöpft und mußten außerdem in London auf weitere Verstärkung warten. Die Armee Haralds bestand nur aus Infanterie. Neben den adeligen Gefolgsleuten des Königs und seiner Leibwache, den „Housecarls“, gab es die „Thegn“, schwerbewaffnete Freie, zu deren bevorzugten Waffen die langstielige Axt gehörte. Die Masse der Männer kam aber aus dem Volksaufgebot, dem „Fyrd“, und war nur unzulänglich ausgerüstet. Um möglichst rasch eine Entscheidung zu erzwingen, wartete Harald nicht ab, bis sich sein Heer vollständig gesammelt hatte und zog mit etwa siebentausend Bewaffneten dem Feind entgegen. 

Am 13. Oktober trafen Angelsachsen und Normannen gute zehn Kilometer nördlich von Hastings aufeinander. Pro forma kam es zu einem Vermittlungsangebot Wilhelms, aber jeder wußte, daß der Kampf unvermeidlich war. Am Folgetag stellte Harald einen Schildwall auf eine langgezogene Anhöhe, die an zwei Seiten unzugänglich war und in jedem Fall den Angriff der gegnerischen Reiterei erschweren mußte. Wilhelm sammelte seine Truppen auf einer gegenüberliegenden Erhebung und in der Ebene. Er ließ drei Treffen bilden, zuerst die Bogenschützen, dann die Fußkämpfer, dann die Reiterei. Die Schlacht begann mit dem Angriff der normannischen Bogenschützen, die aber, weil sie bergauf schießen mußten, kaum Schaden anrichteten. Auch die direkten Angriffe der schweren Infanterie scheiterten, und in der ganzen ersten Phase des Kampfes schienen die Angelsachsen mit ihrer Defensive im Vorteil. Um die Mittagszeit breitete sich sogar das Gerücht aus, daß Wilhelm gefallen sei. 

Auf einer bekannten Szene der Darstellung des Teppichs von Bayeux sieht man ihn, wie er im Sattel aufgerichtet den Helm hebt, um sich zu erkennen zu geben. Von jetzt an griff er immer wieder persönlich in die Schlacht ein, um seine Männer zu ermutigen; drei Pferde brachen unter ihm zusammen, er selbst blieb aber unverletzt. Dann ließ Wilhelm am Nachmittag einen massiven Angriff der Reiterei auf die Angelsachsen führen und gab seinen Männern abrupt den Rückzugsbefehl. 

Der angelsächsiche Adel wurde fast vernichtet

Die folgende Scheinflucht verleitete die Angelsachsen zum Nachsetzen, ihre Schlachtreihe löste sich auf, und als der Feind kehrtmachte und zum Gegenstoß ansetzte, wurde die Stellung Haralds empfindlich geschwächt. Dann ließ Wilhelm noch einmal die Bogenschützen vorrücken, die nun ihre Pfeile senkrecht in die Luft schossen, so daß sie von oben auf die Angelsachsen fielen und viele Kämpfer verletzten. Die normannische Reiterei erneuerte ihre Attacken und konnte schließlich gegen Abend den linken Flügel Haralds aus seiner Stellung werfen. Der Schildwall löste sich auf. Die Housecarls konnten zwar noch geordnet den Rückzug antreten, wurden aber gestellt und niedergemacht. 

Als Harald fiel, lief der Fyrd auseinander. Bis in die Nacht dauerte die Schlacht, die sich in eine Zahl von Einzelkämpfen aufgelöst hatte. Die Blüte des angelsächsischen Adels blieb auf der Walstatt; Harald fand man schließlich nackt und furchtbar verstümmelt unter einem Berg von Leichen.

Zum Dank für seinen Sieg ließ Wilhelm an der Stelle später den Hochaltar der Abtei von Battle errichten, den Toten aber an unbekanntem Ort bestatten. Das war eine Vorsichtsmaßnahme, die schon deshalb nötig schien, weil Wilhelm – nun nicht mehr „der Bastard“, sondern „der Eroberer“ – sehr genau wußte, daß sein Sieg keineswegs bedeutete, daß er die Krone Englands sicher besaß. Zwanzig Jahre lang warf er Aufstände nieder, überzog die Bauern mit Terror, errichtete Zwingburgen, vertrieb die angelsächsischen Geistlichen und ersetzte sie durch normannische. Am massivsten trafen seine Schläge aber die alte Aristokratie; das „Domesday Book“, das jeden Grundbesitzer auflistete, verzeichnete nur noch zwei Angelsachsen unter den Kronvasallen. Eine angelsächsische Chronik vermerkte bitter: „England ist nun in der Hand von Ausländern.“

Trotzdem hat sich im englischen Geschichtsbild letztlich eine positive Wertung der Niederlage durchgesetzt. Jedenfalls schufen die Normannen ein Staatswesen auf der Insel, das zwar oft bedroht, aber niemals wieder zum Opfer einer Invasion wurde. Montgomery resümierte die Bedeutung von Hastings mit den Worten: „Vielleicht war es am besten so.“ Ein Urteil, dessen Unparteilichkeit man allerdings mit Vorsicht nehmen muß: Roger de Montgoméry, ein Vetter Wilhelms, hatte 1066 auf dem rechten Flügel des normannischen Heeres gestanden.

Foto: Szene aus der Schlacht von Hastings auf dem Teppich von Bayeux, Stickarbeit aus dem 11. Jahrhundert: Aus dem „Bastard“ wurde der „Eroberer“