© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/16 / 14. Oktober 2016

An der Förde fliegen die Fetzen
Schleswig-Holstein: Auf ihrem Parteitag am Wochenende will die AfD ihre Kandidaten zur Landtagswahl nominieren / Doch ein interner Streit überlagert das
Martin Voigt

Unter der Oberfläche brodelt es gewaltig. Eigentlich sollte der Landesverband der AfD in Schleswig-Holstein voller Tatendrang in den Parteitag an diesem Wochenende starten, auf dem die Landesliste zur Landtagswahl im Mai 2017 beschlossen wird. Doch im nördlichsten Bundesland tobt ein interner Machtkampf. Der wird inzwischen sogar vor dem Landgericht in Kiel ausgetragen. 

Am 16. April auf dem Landesparteitag in Henstedt-Ulzburg eskalierte der Kampf um Listenplätze erstmals medienwirksam. Nachdem das ehemalige Vorstandsmitglied Markus Scheb bereits im Januar das Handtuch geworfen hatte, verließ auch der damalige Vorsitzende Thomas Thomsen den laufenden Parteitag. „Schon bald nach der Wahl des Landesvorstands im August 2015 ging das Mobbing gegen Scheb und mich los“, sagte Thomsen der JUNGEN FREIHEIT.

Nach dem Zerwürfnis mit dem Lucke-Flügel in Essen 2015 sei das Verhältnis im Landesverband zwar nicht einfacher geworden, bewertet das Vorstandsmitglied Julian Flak die Situation in Schleswig-Holstein rückblickend. „Aber größere politische Differenzen, Streit oder gar Mobbing speziell gegen Thomsen habe ich nicht feststellen können“, sagte Flak der JF. Dennoch: Nach turbulenten Szenen trat der komplette Vorstand zurück. An der umkämpften Spitze landeten nun in großen Teilen jene, die aus Sicht von Thomsen vorher blockiert und agitiert hatten.

Schon am Morgen des 16. April hatten Anhänger von Thomsen eine Verschiebung des Parteitags verlangt, denn nicht alle der damals 780 Mitglieder sollen ordnungsgemäß geladen worden sein. Nach Zwischenstationen beim parteiinternen Landes- und Bundesschiedsgericht landete der Streit schließlich vor dem Landesgericht. Thomsen klagt gegen die Rechtmäßigkeit des Parteitags im April mit dem Ziel, die Wahl des aktuellen Vorstands für ungültig zu erklären.

 „Hasardeure, Postenjäger und Glücksritter“

Nun beschäftigt sich das Gericht mit der Frage, ob das Einladungsprozedere ordnungsgemäß verlaufen ist. Einer der Zeugen, der keine E-Mail erhalten haben will, aber auf dem Parteitag anwesend war, ist der ehemalige CDU-Politiker Nico Gallandt.

Trotz der gegenseitigen Vorwürfe sei inzwischen wieder politische Arbeit möglich, zeigt sich Flak optimistisch. Ohne allzu große Sorgen warte er auch das Urteil in Kiel ab. „Daß die Rechtmäßigkeit von Parteitagen angefochten wird, ist in der AfD leider fast schon die Regel“, meinte Flak. Ein minimales Restrisiko bestehe, aber das Gericht bewerte schließlich auch die Verhältnismäßigkeit.

Es habe wegen der Fehler bei der Einladung schon vor dem Parteitag eine Anfechtungsklage und genügend Warnungen gegeben, und dennoch habe der Versammlungsleiter den Parteitag durchgeführt, heißt es in einem Rundschreiben des „Bramstedter Kreises“ vom 10. Oktober, das der jungen freiheit vorliegt. Dieser Bramstedter Kreis, dem auch Thomsen und Gallandt angehören, hat sich zum Ziel gesetzt, gegen „Hasardeure, Glücksritter oder Postenjäger“ in der AfD zu kämpfen.

Ihr Sieg vor Gericht könnte der AfD großen Schaden zufügen, warnt der Kreis und drängt daher auf einen zügigen und „völligen Neuanfang“. Nicht nur alle bisher getroffenen Beschlüsse des Vorstands würden im nachhinein ungültig, sondern auch die am Wochenende zu wählende Landesliste.

Was passiert, wenn das Landgericht der Anfechtung recht gibt – und dies vielleicht erst nach der Landtagswahl? Müßte die Wahl annulliert werden? Entsprechende Befürchtungen des Bramstedter Kreises wollte die Geschäftsstelle des Landeswahlleiters in Schleswig-Holstein nicht kommentieren. 

Thomas Thomsen und der Bramstedter Kreis wollen das Wochenende nutzen, um den Rücktritt des Vorstands durchzusetzen. „Wenn wir schnell und gemeinschaftlich handeln, können wir die Probleme in der zur Verfügung stehenden kurzen Zeit lösen.“ Der zerstrittene Landesverband trifft sich dort, wo die Zwistigkeiten im April offen zutage traten – im Bürgerhaus Henstedt-Ulzburg.