© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/16 / 14. Oktober 2016

Waffenrecht
Auf den Bürger eingeschossen
Hartmut Rinne

Nach den Massenmorden von Erfurt (2002) und Winnenden (2009) kamen, genauso wie nach der Mordtat von Lörrach (2010), insbesondere aus dem linken politischen Spektrum der Gesellschaft Forderungen nach einer extremen Verschärfung des deutschen Waffenrechts, bis hin zu einem totalen Verbot des privaten Waffenbesitzes in Deutschland. 2009 brachten die Grünen ihren Antrag „Abrüstung in Privatwohnungen – Maßnahmen gegen Waffenmißbrauch“ in den Bundestag ein. In dem Antrag, der in seiner Namensgebung durch die Verwendung des Wortes „Abrüstung“ bewußt an Parolen wie „Frieden schaffen ohne Waffen“ anknüpft, wurde der Bundestag aufgefordert, den privaten legalen Waffenbesitz massiv zu beschränken, da von Schußwaffen in Privathaushalten eine „Gefahr für die Sicherheit“ der Gesellschaft ausgehen würde. 2010 machte der damalige Sprecher für innere Sicherheit der Bundestagsfraktion der Grünen, Wolfgang Wieland, klar, daß eine Verschärfung des Waffenrechts nur eine „Sofortmaßnahme“ sei. Ziel grüner Politik sei letztlich ein generelles Verbot von „Mordwaffen“ für Privatleute („Keine Mordwaffen als Sportwaffen“).

Um den von den Grünen behaupteten Zusammenhang von innerer Sicherheit und privatem Waffenbesitz zu überprüfen, ist es zunächst notwendig, hinsichtlich der verschiedenen Waffenerlaubnisse zu differenzieren, gerade auch, weil es den politischen und medialen Meinungsmachern in diesem Land offenbar schwerfällt, hinsichtlich des privaten Waffenbesitzes zu unterscheiden. Da ist es einfacher, alle Waffenbesitzer in einen Topf zu werfen.

Man kann den privaten Waffenbesitz in Deutschland grob in drei Gruppen aufteilen: Da sind zunächst die legalen Besitzer von erlaubnispflichtigen Schußwaffen (sogenannte „scharfe“ Schußwaffen wie Jagdbüchsen, Flinten, Pistolen etc.). Das Gros dieser Gruppe machen Personen aus, die als Jäger oder Sportschützen der Behörde gegenüber das Bedürfnis, eine Schußwaffe zu besitzen, nachgewiesen haben. Sie dürfen ihre Waffen auch nur im Rahmen des Bedürfnisses benutzen. Der Sportschütze darf die Waffe also nur zur Ausübung seines Sportes auf dem Schießstand bei sich führen, der Jäger seine Waffen nur im Rahmen der Jagdausübung. Das Tragen von Waffen in der Öffentlichkeit ist diesem Personenkreis nicht erlaubt. Zudem wird jede legal erworbene erlaubnispflichtige Schußwaffe in Deutschland im neugeschaffenen zentralen Nationalen Waffenregister erfaßt, so daß für den Staat jederzeit vollkommene Transparenz darüber herrscht, welche erlaubnispflichtige Schußwaffe der einzelne Jäger und Sportschütze besitzt.

Bevor ihnen eine Waffenerlaubnis zugesprochen wird, müssen sie ihre Zuverlässigkeit und ihre persönliche Eignung nachweisen. Das heißt, sie dürfen praktisch nicht vorbestraft und auch nicht psychisch krank oder suchtmittelabhängig sein. Die circa 1,4 Millionen legalen Besitzer von erlaubnispflichtigen Schußwaffen müssen die sichere Aufbewahrung ihrer circa 5,5 Millionen Waffen durch geeignete Tresore gewährleisten. Im Rahmen von „verdachtsunabhängigen Kontrollen“ dürfen Behördenmitarbeiter die Aufbewahrung der Waffen in den Privaträumen der Waffenbesitzer jederzeit kontrollieren. Die Unverletzlichkeit der Wohnung nach Artikel 13 Grundgesetz ist somit für legale Besitzer erlaubnispflichtiger Schußwaffen eingeschränkt.

Die zweite große Gruppe privater Waffenbesitzer in Deutschland bilden Personen, die eine erlaubnisfreie Schußwaffe legal erwerben. Dabei handelt es sich in der Regel um sogenannte Gas- oder Schreckschußpistolen. Die harmlose Bezeichnung dieser Waffen täuscht allerdings über die Tatsache hinweg, daß mit ihnen im Nahbereich schwerste und auch tödliche Verletzungen verursacht werden können. Diese Waffen sind ohne Nachweis eines Bedürfnisses ab 18 Jahren frei verkäuflich. Welches Bedürfnis sollte ein Käufer für den Erwerb einer Waffe, die einer erlaubnispflichtigen, „scharfen“ Waffe täuschend ähnlich sein kann, mit der man aber weder den Schießsport noch die Jagd ausüben kann, auch haben?

Auch die Zuverlässigkeit und persönliche Eignung wird bei den Besitzern dieser Waffen nicht überprüft. Somit können auch Suchtmittelabhängige und Kriminelle ohne Probleme diese Waffen kaufen und legal besitzen.

Da diese Art von Waffen nicht registriert wird, ist vollkommen unklar, wie viele von ihnen im Umlauf sind. Selbst das Tragen von Waffen dieser Art in der Öffentlichkeit ist erlaubt, sofern der Besitzer einen sogenannten „kleinen Waffenschein“ beantragt, bei dem dann zumindest die Zuverlässigkeit behördlicherseits überprüft wird.

Ein Blick auf die Datenlage zeigt deutlich, daß die legal besessenen erlaubnispflichtigen Waffen, wie sie Jäger und Sportschützen behördlich überwacht zu Hause aufbewahren, im Zusammenhang mit der Kriminalität in Deutschland praktisch keine Rolle spielen.

Die vermutlich größte Gruppe privater Waffenbesitzer in Deutschland dürften die Besitzer illegaler Waffen bilden. Der Gabentisch in Europa ist für sie reich gedeckt. Nach einem Bericht der EU-Kommission aus dem Jahr 2014 befinden sich geschätzte 67 Millionen illegale Waffen in der Europäischen Union. Das sind 79 Prozent aller von der EU-Kommission angenommenen „scharfen“ Waffen (legal oder illegal) in Europa überhaupt. Nach Feststellung der EU sind allein im vergangenen Jahrzehnt 10.000 bis 12.000 EU-Bürger durch illegale Waffen erschossen worden. Die Waffen würden insbesondere im Zusammenhang mit Drogenschmuggel, Menschenhandel und terroristischen Aktivitäten eingesetzt.

Diese illegalen Waffen, mit denen sich insbesondere kriminelle Einzeltäter und organisierte Banden ausstatten, stammen ursprünglich hauptsächlich aus den ehemaligen Staaten des Warschauer Paktes (insbesondere Sowjetunion und Balkanstaaten) sowie aus Nordafrika. Es liegt in der Natur der Sache, daß niemand sagen kann, wie viele dieser Waffen in Deutschland von Privatleuten besessen werden. Es liegt auch in der Natur der Sache, daß niemand, der eine illegale Waffe besitzt, zuvor ein Bedürfnis, seine Zuverlässigkeit oder seine persönliche Eignung nachweisen mußte. Fest steht auch, daß es sich bei den illegalen Waffen oft um Modelle handelt, die der deutsche Sportschütze und Jäger niemals in die Hände bekommen würde: Sturmgewehre, Handgranaten und Maschinengewehre.

Ein Blick auf die Datenlage zeigt deutlich, daß die legal besessenen erlaubnispflichtigen Waffen im Zusammenhang mit der Kriminalität in Deutschland praktisch keine Rolle spielen. Das Bundesinnenministerium machte publik, daß von den 2005 im Zusammenhang mit Straftaten sichergestellten 1.719 Schußwaffen lediglich 42 Waffen (2,5 Prozent) legal besessene erlaubnispflichtige Schußwaffen waren (Kriminalistik 12/2006, S. 724–728). Bei 599 Waffen (34,8 Prozent) handelte es sich um illegal besessene Schußwaffen, und 1.078 Waffen (62,7 Prozent!) waren erlaubnisfreie Schußwaffen (also zum Beispiel Gas- und Schreckschußwaffen).

Wie unstimmig und unrichtig der von den Grünen behauptete Zusammenhang von legalem Besitz erlaubnispflichtiger Schußwaffen und Gewaltkriminalität in der Gesellschaft ist, zeigt auch eine Daten­erhebung, die Zeit Online – allerdings mit anderer Intention – am 16. Januar 2014 veröffentlichte. Die Journalisten hatten sich die Mühe gemacht und für jeden Landkreis und jede kreisfreie Stadt die Anzahl der legalen erlaubnispflichtigen Waffen bei den Behörden abgefragt. Daraus ergab sich eine Rangtabelle der Kommunen im Hinblick auf die Anzahl legaler erlaubnispflichtiger Schußwaffen pro 1.000 Einwohner. Der Landkreis Lüchow-Dannenberg steht mit 186 erlaubnispflichtigen Schußwaffen pro 1.000 Einwohner an der Spitze dieser Liste. Das Schlußlicht bildet die Hauptstadt Berlin mit gerade einmal 13 erlaubnispflichtigen Schußwaffen pro 1.000 Einwohner.

Wenn die These der Grünen und anderer Waffengegner stimmen würde, daß ein Mehr an erlaubnispflichtigen Schußwaffen zu mehr Gewaltkriminalität führe, so müßten wir im Landkreis Lüchow-Dannenberg eine exorbitante Anzahl von Gewaltdelikten verzeichnen und Berlin quasi als Hort der Gewaltlosigkeit erleben.

Der Kampf gegen die Rechte der Jäger und Sportschützen ist in Wirklichkeit ein Kampf gegen den bürgerlich-konservativen Kern dieser Gesellschaft. 1848 war es übrigens eine Hauptforderung der Revolutionäre, das Volk zum Schutz vor Tyrannen zu bewaffnen.

Die Realität sieht anders aus. Es ist nicht nur ein subjektives Empfinden, daß man in Lüchow weniger Angst haben muß, überfallen zu werden als in Berlin-Kreuzberg. Die Polizeiliche Kriminalstatistik (2009) liefert dazu objektive Daten. Wurden in der fast waffenfreien Stadt Berlin (zumindest was legal besessene erlaubnispflichtige Schußwaffen angeht) im Jahr 2009 1.296 Körperverletzungen und 3.031 Delikte der Straßenkriminalität pro 100.000 Einwohner verzeichnet, kam das vor erlaubnispflichtigen Legalwaffen strotzende Lüchow-Dannenberg nur auf 492 Körperverletzungsdelikte und 995 Straftaten der Straßenkriminalität pro 100.000 Einwohner. Im Land Berlin wurden 2009 laut PKS 61 Fälle vollendeter vorsätzlicher Tötung (Mord und Totschlag) begangen. Das gesamte Bundesland Niedersachsen – der Landkreis Lüchow-Dannenberg macht nur einen sehr geringen Teil an der Bevölkerung des Bundeslandes aus – hatte im Untersuchungszeitraum aber nur 59 Fälle von Mord und Totschlag zu beklagen.

Die einfache Gleichung: Mehr erlaubnispflichtige legale Schußwaffen = mehr Tötungsdelikte und mehr Gewaltkriminalität überhaupt stimmt somit hinten und vorne nicht. Wer Gewalt durch Waffen begrenzen will, sollte auch die alte Erkenntnis berücksichtigen, daß das häufigste Tatmittel bei Tötungsdelikten das Messer ist (Deutsche Polizei, Zeitschrift der GdP, 5/2009, S. 7). Die zitierten Daten sind keine Geheimdaten, sie sind auch für die Grünen frei zugänglich. Wenn die Grünen also, wie sie behaupten, etwas zur Reduzierung der Gefahr für die Sicherheit in der Gesellschaft beitragen wollten, so müßten sie zwingend Maßnahmen zur Bekämpfung des illegalen Waffenbesitzes in Deutschland unterstützen.

Doch davon sind die Grünen weit entfernt. So haben zum Beispiel kriminelle Großfamilien in Berlin „verdachtsunabhängige Kontrollen“ – anders als Sportschützen und Jäger – nicht zu befürchten. Man hat sich auf den Besitzer erlaubnispflichtiger Legalwaffen eingeschossen. Und die Leitmedien beteiligen sich daran. Die Wahrscheinlichkeit, daß eine Mordtat über eine Randnotiz hinaus in den Leitmedien Eingang findet, wird dann erhöht, wenn der Täter eine legal besessene erlaubnispflichtige Schußwaffe eingesetzt hat.

Lohnend wäre auch ein Blick auf die Gewalt jugendlicher Migranten, die beispielsweise in Berlin 79 Prozent der polizeilich geführten Intensivtäter ausmachen. Migranten mit arabischen und türkischen Wurzeln bilden hier die Spitze (Berliner Forum Gewaltprävention [2007], Gewalt von Jungen, männlichen Jugendlichen und jungen Männern mit Migrationshintergrund in Berlin, S. 21). 27,8 Prozent aller Morde und 27,4 Prozent aller Totschlagsdelikte in ganz Deutschland werden von „Nichtdeutschen“ begangen (Polizeiliche Kriminalstatistik, 2009).

Beachtet werden muß dabei, daß Personen mit doppelter Staatsbürgerschaft in der Statistik grundsätzlich als Deutsche gewertet werden; der Migrationshintergrund bei Personen, die ausschließlich den deutschen Paß besitzen, wird sowieso nicht berücksichtigt. Würde man die Statistik bereinigen und nicht den Paß, sondern die Herkunft berücksichtigen, weil bei der Gewaltkriminalität insbesondere auch gewaltlegitimierende Erziehungsstile und Einstellungen eine Rolle spielen, wie sie insbesondere im türkisch-arabischen Kulturraum vielfach verankert sind, der Anteil der nichtdeutschen Täter wäre ungleich höher.

Bleibt nur eine Frage: Warum haben die Grünen und andere linke Gruppierungen vor dem Hintergrund dieser Daten ausgerechnet den legalen Besitzer von erlaubnispflichtigen Schußwaffen als Gegner ausgemacht, der als Gewalttäter praktisch nicht auffällt? Der Kampf gegen die Rechte der Jäger und Sportschützen ist in Wirklichkeit ein Kampf gegen den bürgerlich-konservativen Kern dieser Gesellschaft. 1848 war es eine Hauptforderung der bürgerlichen Revolutionäre, das Volk zum Schutz vor Tyrannen zu bewaffnen. Heute soll der konservative Kern der bürgerlichen Gesellschaft entwaffnet werden, auch wenn die Bürger heute ganz andere Gründe für ihren Waffenbesitz haben.

Eines können die Grünen jedenfalls hinter ihrer Forderung eines totalen Verbotes privaten Waffenbesitzes nur sehr schlecht verbergen: die Gemeinsamkeit, die sie durch ihre Forderung mit totalitären Regimen haben. Denn bislang waren es Staaten wie die DDR und das Dritte Reich, die alles darangesetzt hatten, den privaten Waffenbesitz so weit wie möglich zu beschränken. Wie sagte es doch Alt-Bundespräsident Gustav Heinemann: „Ein Staat ist immer nur so frei wie sein Waffengesetz.“







Hartmut Rinne, Jahrgang 1965, ist klinischer Diplom-Psychologe. Als psychologischer Gutachter in eigener Praxis begutachtet er bundesweit ausschließlich Fälle nach Paragraph 6 Waffengesetz (Feststellung der persönlichen Eignung). Bisherige berufliche Stationen: Institut für Rechtsmedizin am Klinikum Bremen-Mitte und TÜV-Nord, mit Schwerpunkt der Tätigkeit im Bereich des § 6 WaffG (gutachterliche Tätigkeit und Weiterbildung von Mitarbeitern der Waffenbehörden)