© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/16 / 14. Oktober 2016

Nur ein Philosoph aus dem 19. Jahrhundert
200. Geburtstag von Karl Marx 2018: Ausstellungsmacher wollen Opfer seiner Ideologie im 20. Jahrhundert verschweigen
Richard Hausner

Trier eignet sich nicht als Wallfahrtsort einer undifferenzierten und selektiven Marx-Verehrung“, warnte der Trierer AfD-Landtagsabgeordnete Michael Frisch vor einem Marx-Kult anläßlich der zahlreichen Veranstaltungen im Jahre 2018, die dem Vordenker der Diktatur des Proletariats zu seinem 200. Geburtstag gewidmet werden. Im Mittelpunkt einer aktuellen Debatte des Landtags von Rheinland-Pfalz, welche die AfD-Fraktion am 5. Oktober auf die Tagesordnung setzte, ging es um die inhaltliche Ausrichtung der beiden vom Land und der Stadt Trier finanzierten Jubiläumsausstellungen. Hintergrund: Die Wirkungsgeschichte der marxistischen Ideologie im 20. Jahrhundert soll ausgeklammert werden.

„Kein Platz mehr“ für die Wirkungsgeschichte

Rainer Auts, Geschäftsführer der vom Land Rheinland-Pfalz und der Stadt Trier getragenen Ausstellungsgesellschaft, begründete die Ausklammerung dieser Wirkungsgeschichte im Trierischen Volksfreund damit, daß „kein Platz mehr“ vorhanden sei. In der Trierer Rathauszeitung läßt Auts aber auch eine inhaltliche Komponente erkennen: „Die ideologische Vereinnahmung der Vergangenheit hat eine unvoreingenommene Auseinandersetzung mit Marx erschwert. Wir zeigen deshalb Karl Marx und sein Werk in seiner Zeit. Die Rezeption im 20. Jahrhundert ist nicht Gegenstand der Ausstellung.“

Joachim Paul, stellvertretender AfD-Fraktionsvorsitzender, kritisierte diese Entscheidung, denn es gäbe durchaus eine geistige Kontinuität von Karl Marx zu den kommunistischen Verbrechen des 20. Jahrhunderts. „Die Diktatur des Proletariats ist die zentrale Marxsche Utopie. Eine Utopie der Gewalt, in der Terror zur Regierungsform wird“, so Paul im Plenum. Zudem machte er darauf aufmerksam, daß Marx für all das stehe, „was die Landesregierung mit viel Geld durch die sogenannte Extremismus-Prävention bekämpfen will: politische Gewalt, Terrorismus, antidemokratisches Denken und Haß auf Andersdenkende“. Schließlich verwies der Abgeordnete auf eine Opfergruppe, die einen direkten Bezug zu Rheinland-Pfalz aufweist: „Die Spur der Opfer führt in unser Land. 50.000 Donauschwaben – überwiegend Frauen, Kinder und Greise – gingen elendig in den Lagern des Marxisten Tito zugrunde. Die Überlebenden siedelten sich nach Vertreibung und Flucht in Rheinland-Pfalz an.“

Mit Spannung wurde die Positionierung der CDU erwartet. Im Vorfeld hatte der Trierer Bundestagsabgeordnete Bernhard Kaster heftig kritisiert, daß es dem Ausstellungskonzept an allem fehle, was aus den Ideen von Karl Marx im 20. Jahrhundert geworden sei. Im Landtag hingegen agierte die CDU lustlos, kein Wort über die fehlende Wirkungsgeschichte. Stattdessen würdigte Gerd Schreiner Marx sogar als einen der „wichtigsten europäischen Denker“. 

Bemerkenswert ist die Aussage auch deshalb, wenn man die Schlußfolgerung des Politologen Konrad Löw kennt. Dieser arbeitete heraus, daß Marx – und übrigens auch Engels – nichts Substantielles zur Geschichtswissenschaft, Ökonomie und Philosophie beigetragen habe: „Aber das Richtige war nicht neu, und das Neue war nicht richtig.“ Ein bißchen Kritik am Marx-Kult übte Schreiner dann aber doch. So drückte er sein Befremden darüber aus, daß in Trier zum 200. Geburtstag eine knapp fünf Meter hohe Statue von Karl Marx aufgestellt werden soll – angefertigt von einem chinesischen Künstler. 

Zur widersprüchlichen Linie der CDU gehört, daß deren Stadträte in Trier kein Problem mit der Aufstellung der Statue zu haben scheinen. Jedenfalls meldeten sie bislang keinen Protest an. Von den Vertretern der rot-grün-gelben Landesregierung waren in der Landtagsdebatte keinerlei kritische Töne zu vernehmen.

Die Kritiker halten es 25 Jahre nach dem Untergang der Sowjetunion für grundsätzlich angebracht, die dort verübten Verbrechen intensiv aufzuarbeiten. Daher hätte es nahegelegen, die Veranstaltungen zum 200. Geburtstag von Karl Marx in Trier unter das Leitthema „Marxistische Lehren und die Auswirkungen auf den real existierenden Kommunismus im 20. Jahrhundert“ zu stellen. Diesen Themenbereich bewußt auszuklammern – unabhängig davon, ob man eine geistige Kontinuität erkennen will oder nicht –, zeigt das Desinteresse an einer gründlichen Aufarbeitung des marxistischen Erbes. 

Verschwinden der Opfer des anderen Zivilisationsbruchs

Der renommierte Osteuropahistoriker Karl Schlögel trifft den Nagel auf den Kopf, wenn er in seinem 2008 von der Bundeszentrale für politische Bildung nachgedruckten Buch „Terror und Traum. Moskau 1937“ festhält: „Und doch wurde der geschichtlichen Katastrophe und den menschlichen Tragödien in der Sowjetunion der dreißiger Jahre nie jene Aufmerksamkeit und Anteilnahme zuteil, die man von einer Öffentlichkeit, die sich dem Horror der nationalsozialistischen Verbrechen ausgesetzt hatte, erwarten durfte. Es herrschte eine auffällige Asymmetrie. Eine Welt, die sich die Namen von Dachau, Buchenwald und Auschwitz eingeprägt hatte, tat sich schwer mit Namen wie Workuta, Kolyma oder Magadan. (…) Die Opfer des anderen Zivilisationsbruchs verschwanden endgültig hinter der Mauer des Schweigens, die die Teilung Europas für ein halbes Jahrhundert aufgerichtet hatte.“