© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/16 / 14. Oktober 2016

Da kommt etwas auf uns zu
Die westliche Trivialisierung des Religiösen wird beim Islam nicht funktionieren
Jost Bauch

Der Islam ist in Westeuropa auf dem Vormarsch. Noch liegt der Bevölkerungsanteil bei nur etwa fünf Prozent, aber innerhalb der nächsten fünf Jahre ist mit einer Verdreifachung oder sogar Vervierfachung der Muslime in Deutschland zu rechnen. Ob der Islam zu Deutschland gehört, darüber kann man sich streiten, daß er massiv sich in diesem Lande verbreitet, darüber kann kein Zweifel bestehen. 

Es ergibt also einen Sinn, auch und gerade für die alteingesessene christlich oder säkularisiert-atheistische Bevölkerung, sich mit dem Islam auseinanderzusetzen, er wird Teil ihrer Lebenswirklichkeit werden, ob sie es will oder nicht. Für diese Auseinandersetzung ist das von Udo Hildenbrand, Friedrich Rau und Reinhard Wenner vorgelegte Buch „Freiheit und Islam. Fakten, Fragen, Forderungen“ bestens geeignet. Denn es zeigt, was auf uns zukommt. Es räumt mit dem weitverbreiteten Urteil auf, der Islam sei eine Religion wie jede andere und die Verbreitung des Islam in Europa sei alleine als Bereicherung zu verbuchen.

Man kann dieser Vorstellung nur anhängen, wenn man – typisch für säkularisierte Gesellschaften – einem reduktionistischen und damit trivialen Verständnis von Religion nachgeht. Religion ist in diesem Verständnis Privatsache. Was einer glaubt, ist letztlich egal. Ob evangelisch oder katholisch, buddhistisch oder moslemisch, diese letzten Sinnfragen im Oberstübchen der Menschen sind für den Lebensalltag ohne jede Relevanz, jeder soll, frei nach Friedrich dem Großen, nach seiner Fasson selig werden. 

Diese Vorstellung der Trivialität des Religiösen hängt mit den Säkularisierungsprozessen im Christentum zusammen. Denn das Christentum ist im säkularisierten Abendland tatsächlich zur Privatsache eines jeden einzelnen geworden. Das hat damit zu tun, daß Religion grundsätzlich zu einem gesellschaftlichen Funktionssystem im Rahmen der funktionalen Differenzierung der Gesellschaft zurückgestuft wurde. Die Religion ist in modernen westlich-abendländischen Gesellschaften ein Teilsystem der Gesellschaft und beherrscht sie nicht mehr. 

Damit wird der Zugang zu religiösen Kommunikationsofferten für die Menschen optional. Sie können sich diesem Funktionssystem gegenüber öffnen, in die Kirche gehen und glauben, sie müssen es aber nicht. Allein diese Optionalität unterscheidet das Christentum vom Islam. Denn dieser (Islam heißt „Unterwerfung“) verlangt die Teilhabe an religiösen Praktiken, es sei denn, man ist ein Ungläubiger. 

In modernen, westlich geprägten Gesellschaften kann religiöse Kommunikation nicht mehr verlangt werden. Entscheidender noch ist, und diesen Hinweis verdanken wir dem Soziologen Niklas Luhmann, daß die Teilnahme an Religion nicht mehr zur Voraussetzung der Teilnahme an anderen Funktionssystemen gemacht werden kann. Und er benennt in diesem Zusammenhang explizit den Islam, denn dort ist wie noch im europäischen Mittelalter die Partizipation an Religion die unbedingte Voraussetzung dafür, in alle anderen gesellschaftlichen Funktionsbereiche integriert zu werden. Eine Exklusion aus dem Religionssystem kommt damit einer gesellschaftlichen Totalexklusion gleich. 

Islam entwickelt sich nicht zur „Schönwetter-Religion“

Während es im Christentum eine „Freigabe der Teilnahme an Religion“ gibt (Luhmann), also die Frage der Integration ins Religionssystem alleine durch dieses System geregelt wird, ist der Zwang zur Teilhabe am Religiösen in den islamischen Staaten ungleich höher. Aufklärung und funktionale Differenzierung haben in westlich geprägten Demokratien dazu geführt, daß der Mensch von keinem sozialen Funktionssystem in seiner Totalität erfaßt und damit beherrscht wird. Ich bin hier immer nur als Teil Mitglied etwa des Wirtschaftssystems, des politischen Systems oder des religiösen Systems, kein System hat den Anspruch, alle meine Lebensäußerungen kontrollieren zu wollen. Das eröffnet Freiheitsspielräume, ich muß nicht wählen gehen, ich muß nicht in die Kirche gehen, ich bin immer nur zum Teil in das jeweilige soziale System integriert. 

Dagegen steht der theokratische Anspruch der „Umma“ im Islam. Die Umma ist eine von Allah vorgegebene Gemeinschaft der muslimischen Männer, die beste Staatsform, die alle Lebensäußerungen unter das Gesetz des Koran stellt und damit den Menschen insgesamt zwangsvergemeinschaftet. Nach Hildenbrand, Wenner und Rau ist die Liste der Unvereinbarkeiten zwischen den Lehren des Islam und der abendländischen Kultur lang. 

Zu den Unvereinbarkeiten gehört die muslimische Aufteilung der Menschheit in Gläubige und Ungläubige, wobei Ungläubige als Menschen zweiter Klasse gelten, der Dschihad, die Möglichkeit der Polygamie, die Körperstrafen für Diebe, die Erlaubnis der Sklaverei, die Erlaubnis der bewußten Täuschung der Ungläubigen, die Todesstrafe für Apostaten, die Möglichkeit des Frauentausches, die Unterdrückung der Frau. So kommt Reinhard Wenner zu dem Schluß, daß der Islam nicht demokratiefähig sei.

Natürlich muß man immer differenzieren. Man muß unterscheiden zwischen den eher radikaleren „Medina“-Muslimen und den friedlicheren „Mekka“-Muslimen und der kleinen Gruppe der Reform-Muslime. Gerade bei nach Europa ausgewanderten Muslimen ist auch eine gewisse Säkularisierungstendenz zu beobachten. Allerdings haben sich die Hoffnungen von Bassam Tibi auf die Etablierung eines aufgeklärten „Euro-Islam“ nicht erfüllt. Laut Spiegel bekennen sich etwa zehn Prozent der Muslime in Deutschland (also weit über 300.000) nicht zu Demokratie und Grundgesetz, und die FAZ ermittelte, daß 65 Prozent der befragten Muslime angaben, daß ihnen die religiösen Regeln des Islam wichtiger seien als weltliche Gesetze.

Die „durchsäkularisierten“, atheistisch geprägten Gesellschaften Europas liegen somit einem Fehlschluß auf, wenn sie glauben, der Islam ließe sich als ein weiterer Puzzle-Stein in die Reihung der trivialisierten, mehr oder weniger bedeutungslosen „Schönwetter-Religionsgemeinschaften“ einordnen. Der Zugriff des Islam auf Gesellschaft und Mensch ist viel radikaler. Und er wird gerade die libertäre und permissiv-hedonistische Lebensart seiner multikulturellen Befürworter und Dulder völlig aus der Bahn werfen. Vielleicht eine späte „List der Vernunft“. Religion ist eben nicht trivial.

Udo Hildenbrand, Friedrich Rau und Reinhard Wenner: Freiheit und Islam. Fakten, Fragen, Forderungen. Gerhard Hess Verlag, Bad Schussenried 2016, broschiert, 846 Seiten, 34 Euro