© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/16 / 14. Oktober 2016

Als Siegespreis einen Stier
Die Tradition ruft in den Ring: Der Schweizer Nationalsport Schwingen bleibt beliebt
Verena Inauen

Er bekommt einen Stier und wird Millionär. Der Sieger der größten Schweizer Sportveranstaltung darf sich rechtmäßig König nennen. König des Eidgenössischen Schwingfestes. Zuvor muß er sich allerdings in einem harten Zweikampf beweisen. In einer Arena mit über 50.000 Zuschauern ringen die muskulösen Männer miteinander. Bekannt ist der Sport allerdings nur bis an die Landesgrenzen. Innerhalb der Schweiz wird der Kampf im Sägemehl auch Schwingen genannt.

Die Ursprünge des Sportes gehen bis in das 13. Jahrhundert zurück. Damals wurde um ein Taschentuch oder Naturalien in der hinteren Hosentasche des Partners gerungen. Bis heute wird das Schwingen darum als „Hosenlupf“ (lupf = stehlen) bezeichnet. Noch vor dem Hornußen – ähnlich dem Scheibenschlagen – und Steinstoßen nimmt es darum in der deutschsprachigen Schweiz den ersten Platz als Nationalsport ein.

Der Sieger putzt dem      Verlierer den Rücken ab

Was lustig klingt, wird von den Eidgenossen aber todernst genommen. Bei den im Dreijahresrhythmus stattfindenden Kämpfen nehmen sich die Schweizer auch schon mal frei und pilgern in die mobile Arena. Dann feuern die inzwischen essenden und trinkenden Zuschauer die Athleten in den sieben Sägemehlkreisen an. Mit zwei Dutzend Kubik Spähne wird die sieben bis 14 Meter breite Kampffläche gepolstert. Wie ein paniertes Stück Fleisch sieht nach dem Kampf auch die Zwilchhose aus, welche die Kämpfer tragen. Daran fassen sie sich nach dem freundschaftlichen Handschlag und versuchen den Gegner durch verschiedene Schwungtechniken aus dem Gleichgewicht zu bringen. Mit dem „Brienzer“, einem „Buur“ oder dem „Gammen“ – so werden die verschiedenen Griffe und Würfe genannt – sollte das Gegenüber zu Boden befördert werden. Für einen „Plattwurf“, ein sofortiges Niederringen des Gegners, gibt es zehn Punkte. Drei Kampfrichter entscheiden über die Note, einer davon steigt mit den Kontrahenten in den Ring.

Pfeifen dürfen die Zuschauer während des Kampfes allerdings nicht. Wer das tun will, sollte zu einem Fußballspiel gehen, erklärt das übrige Publikum dann im Choral. Über das gesamte Wochenende hinweg treten die jeweiligen Sieger eines Duells gegeneinander an. Dazwischen können sie sich die Schürfwunden an Knie und Schultern kühlen und an den zwei dafür bereitgestellten Brunnen erfrischen. Am Sonntag wird schließlich nach dem Schlußdurchgang der König gekrönt. Der Schwingerkönig – als der darf er sich sein Leben lang bezeichnen.

Schwingen ist zwar bis heute ein traditioneller Männersport, die Toleranz gegenüber „Wyberschwingets“, den weiblichen Schwingerinnen, nimmt jedoch zu. In die Arena kommen die Gäste aber vor allem wegen Männern wie Jörg Abderhalden, dem stärksten Schwinger der vergangenen zehn Jahre, Matthias Glarner, dem jüngsten Schwingerkönig, oder Martin Grab, einem weiteren bekannten Kraftprotz.

Obwohl die durchschnittlich über 100 Kilo schweren Männer versuchen, sich gegenseitig in die Luft zu hieven oder zu Boden zu drücken, geht es bei dem Sport kollegialer zu als gedacht. Der Sieger putzt dem Verlierer nach einem alten Ritual den Rücken ab. Die Sponsorenverträge und wertvolle Preise vom „Gabentisch“ bekommt allerdings trotzdem nur der Gewinner. Diese Preise haben mittlerweile eine beträchtliche Höhe, weswegen die Amateure schon Monate zuvor mit dem Training beginnen. Ein althergebrachter Ritus wird da zugunsten von moderner Sporternährung auch schon mal vernachlässigt: Früher mußten die Athleten einen Trank aus einem halben Liter Weißwein, sechs Eiern, Zucker und Schnaps zu sich nehmen.

Geblieben ist allerdings die Tradition, dem Sieger des zweitägigen Festes einen „Muni“ zu überreichen. Mehrere tausend Euro ist der Stier jedesmal wert, der dann entweder behalten oder an einen Züchter verkauft werden kann.

Beispiellos sind auch die Sicherheitsvorkehrungen für die Großveranstaltung. Es gibt nämlich gar keine. Tausende friedliche Besucher schneiden sich dort auf den Tribünen mit dem Taschenmesser ihre Wurst aufs Brot und trinken sauren Most aus Glasflaschen dazu.