© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/16 / 14. Oktober 2016

Der Flaneur
Badewasser und Kulturwandel
Claus-M. Wolfschlag

Letzter Tag der Freibadsaison. Frisch ist es geworden. H. steigt aus dem Becken und trocknet sich ab. „Das Wasser ist immerhin wieder klar, nicht so wie im Sommer.“ Wenn er abends im Sommer eintraf, meinte die Kassiererin öfters: „Heute ein neuer diesjähriger Besucherrekord.“ Über tausend meist jugendliche Gäste hatten sich dann zuvor in dem Becken getummelt. Bis zum Abend hatten die darin gelösten Sonnencremes, Schweiß, Speichel und andere Ausscheidungen das gechlorte Naß in eine milchige Brühe verwandelt. „Unter Wasser vielleicht ein Meter Sicht. Eklig“, meint H.

„N. war letztes Jahr in Kuba im Urlaub“, erzähle ich ihm. „In der Mitte ihres Hotelpools war eine Bar. Man konnte sich eine Wasserliege nehmen, zur Bar paddeln und dort Cocktails trinken. N. meinte, daß eine Gruppe kanadischer Touristen im Laufe des Tages zahlreiche Caipirinhas trank, aber ihre Wasserliegen nicht verließ. Die hätten irgendwann einfach mal auf Toilette gehen müssen, taten es aber nie. Das ist eklig.“

„In meiner Kindheit durften wir nicht mal ohne Badekappe ins Wasser.“

Wir gehen zur kleinen Gaststätte neben der Liegewiese und bestellen Pommes frites. Morgen dürfen noch die Hundehalter mit ihren vierbeinigen Freunden zum „Hundebadetag“ auf das Gelände. „Ob Hunde eigentlich auch im Wasser ihr Geschäft verrichten?“ fragt H. „Das ist auch ein Kulturwandel“, gebe ich zurück. „In meiner Kindheit wäre das nicht denkbar gewesen. Da durften wir nicht mal ohne Badekappe ins Wasser.“ H. ergänzt: „Als ich damals mal meine Schwimmbrille zu Hause vergessen hatte, durfte ich mir ‘aus hygienischen Gründen’ keine der vom Bademeister gefundenen herrenlosen Brillen ausleihen.“

Wir schauen zum Schwimmbecken. Eine Entenfamilie und zwei Nilgänse haben sich im Wasser niedergelassen. „Kam mehrfach dieses Jahr vor“, sagt H. und steckt sich eine Fritte in den Mund. Der Bademeister macht keine Anstalten, die Tiere zu vertreiben, sondern fotografiert sie mit seinem Smartphone. „Machen Enten ihr Geschäft eigentlich ins Wasser?“ frage ich als Nicht-Vogelkundler.