© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/16 / 21. Oktober 2016

Navid Kermani ist Deutschlands Vorzeige-„Mihigru“. Nicht ganz zu Unrecht.
Der Liebling
Thomas Fasbender

Er ist ein Mann nach dem Gusto der Volksveredler an der Macht: Navid Kermani, Jahrgang 1967, Kölner Orientalist, Autor, Journalist, Talkshow-Gast, Deutscher und Iraner. Fortschrittliche Zeitgenossen sehen in dem gebürtigen Siegerländer bereits den Idealtypus des Deutschen im 21. Jahrhundert: Migrationshintergrund, also unbelastet von jeder Form genetischen Germanentums, bi-kulturell, säkular und aufgeklärt. 

Der 1.-FC-Köln-Fan verkörpert zugleich das Fremde, den Orient, in der weichgespülten Variante, die an den Urlaub im Robinson Club Agadir erinnert. Dafür heftet die Republik ihm Orden ad libitum an die Brust: Ernst-Bloch-, Helga-und-Edzard-Reuter-, Schwarzkopf-Europa-, Hessische Kultur-, Buber-Rosenzweig-, Hannah-Arendt-, Kölner Kultur-, Kleist-, Cicero-, Gerty-Spies-, Dialog-, Friedens- und Marion-Dönhoff-Preise. In diesem Jahr dann noch den Bürgerpreis der deutschen Zeitungen. Auch als Kandidat für den Literaturnobelpreis war Kermani im Gespräch – zeitweise gleichauf mit dem späteren Preisträger Bob Dylan. Und wenn jetzt doch nicht Dieter Bohlen, wie in dieser Zeitung vorgeschlagen, zum Bundespräsidenten gekürt wird, gilt Kermani auch für den Posten als heißer Tip.  

Nach zehn Merkel-Jahren ist er der Musterknabe der schwarz-rot-grünen kulturellen Hegemonie. Ganz der neudeutsche Traum-Imam, füllt er die Rolle aus, die jahrzehntelang pastoralen Protestanten oblag: das Gewissen der Nation. Oder sagen wir: des Teils der Nation, der bei Preisverleihungen im Publikum sitzt, ergänzt um „friends and family“ daheim. Dabei verkauft Kermani sich mit seinen Sonntagsreden vor dem Bundestag und in der Paulskirche unter Wert. Eigentlich hat er viel mehr zu bieten als die Jünger (und Jüngerinnen) der satten, deutschen Gleichgültigkeit, der multikulturellen Beliebigkeit, die er bedient und die ihn so medienträchtig vereinnahmen. Das zeigt eindrücklich sein Buch „Der Schrecken Gottes“ über den mittelalterlichen persischen Mystiker Fariduddin Attar. Kermani blickt viel tiefer, kann ungleich Gehaltvolleres von sich geben als wohlfeile Ratschläge an die deutsche Außenpolitik: „Krieg ist das falsche Mittel. Aber Befreiung nicht das falsche Ziel.“ Vieles sieht er scharf und richtig, etwa daß die Abgrenzung zum Islam für viele Menschen in Deutschland heute schon identitätsstiftender ist als das Bewußtsein eigener Werte, eigener Ziele. 

 Wer weiß, wahrscheinlich gefällt es ihm, auf der Kanzel der Demokratie im Rampenlicht zu stehen; wer tut sich so etwas sonst an. In der Hinsicht wäre er ein würdiger Gauck-Nachfolger. Wünschen möchte man ihm etwas anderes: daß er mal was richtig Störendes sagt. Was richtig Falsches. Daß er dem Lehrer Tinte ins Klassenbuch spritzt. Hauptsache irgendwas, für das es keine Preise gibt.