© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/16 / 21. Oktober 2016

Grüße aus Santiago de Cuba
Die Amis gaben alles
Alessandra Garcia

Schon vom Zentrum der Stadt kann ich es sehen. Ein weißes Ungetüm liegt im Hafen, ein Kreuzfahrtschiff aus fernen Landen. Ab dem ersten Häuserblock standen an jeder Ecke Grünuniformierte. Das Innenministerium hatte seine Rekruten ausgespuckt, um das Zentrum Santiago de Cubas noch sicherer zu machen, als es sonst schon dank der Blauuniformierten ist. Aber die Gäste sollten genau den Eindruck mitnehmen, den ihnen die Reiseführer von unserer Stadt vorgaukeln: musikalisch, gastfreundlich, stolz, revolutionär und sicher.

„Die Amerikaner sind da“, flüsterte mir eine Freundin auf der Einkaufsstraße im Vorbeigehen zu und nickte mit dem Kopf bergab zum Platz vor dem Rathaus. Ein halbes Dutzend durchnumerierter, klimatisierter Reisebusse, von denen die Hälfte ihre Fracht schon ausgeladen hatte. Angesichts derart vieler Fremder waren die hier ansässigen Bettler daran, hyperzuventilieren. Denn das waren nicht die viel Elend gewöhnten, mißtrauischen Europäer, sondern richtig naive Yumas, US-Amerikaner, die innerlich vor Aufregung zitterten, weil sie es gewagt hatten, nicht nur Kuba zu besuchen, sondern ausgerechnet in jener Stadt für ein paar Stunden von Bord gegangen waren, die als revolutionärste und castrogläubigste gilt.

„Seid ihr wirklich aus Estados Unidos?“ Einer der Touristen schwenkt darauf seinen Paß.

Elektrischer Rollstuhl trifft auf Rollbrett, Fettleibigkeit auf Amputierte, satte Gutgläubigkeit auf raffinierte Überlebenskünstler. „Seid ihr wirklich aus Estados Unidos?“ Einer der Touristen schwenkte darauf seinen Paß. Meine Landsleute schauen ehrfürchtig, und alle haben plötzlich nicht wie sonst einen Bruder, Freund oder zumindest Bekannten in Berlin, Paris oder Rom, sondern jetzt in Miami oder Nuevo York. Unverfroren wird nach Seife, Kulis, Schokolade, Kaugummis, Geld gefragt. Die Amis gaben – außer Geld – alles.

Zufällig entdeckte ich, daß in den Auslagen des Gemüsemarktes überreife Guanábana (Stachelannonen) lagen und Ananas. Als ich welche kaufen wollte, schüttelte der Verkäufer den Kopf: „Jetzt nicht, morgen.“ Auch die roten Tomaten gab es nicht. Gar nichts. „Wir haben jetzt geschlossen.“ Ich begreife zuerst nicht, was los ist: Die Verkäufer sind da, die Ware, kein „Geschlossen“-Schild. Erst als ein paar Touristen die Auslagen und dahinter ein Poster mit Raúl Castro fotografieren, verstehe ich. Am nächsten Tag ist keine Spur mehr von dem weißen Schiff zu sehen, und auch keine von Guanábana, Ananas und Tomaten. Nur Raúl hängt noch über den Salatköpfen.