© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/16 / 21. Oktober 2016

Ein Fiasko der Deutsche Bank ist keineswegs unvermeidlich
Schräge Vergleiche
Thomas Kirchner

Etwa 46 Billionen Euro beträgt das nominale Volumen der Derivate in der Bilanz der Deutschen Bank, das 15fache des Bruttoinlandsproduktes Deutschlands. Vor drei Jahren waren es sogar 75 Billionen. Derartige schräge Vergleiche sollen das gewaltige Risiko der Deutschen Bank verdeutlichen. Derivate sind Finanz­instrumente, die Versicherungsverträgen ähneln. Ihr Wert hängt vom Schlußkurs eines anderen Finanzinstruments zum Stichtag ab.

Beispielsweise können Exporteure damit Währungsschwankungen absichern, wenn sie die Devisen erst bei Bezahlung ihrer Ware erhalten werden. Auch zu Spekulationszwecken eignen sich Derivate, da sie in vielen Fällen einfacher zu handhaben sind als das eigentliche Objekt der Spekulation. Wird etwa ein Export über eine Million Euro mit einem Derivat abgesichert, repräsentiert es zwar nominal eine Million, hat aber zunächst keinen Wert. Erst wenn sich der Devisenkurs ändert, steigt oder fällt der Wert des Derivats – und dann auch nur um Bruchteile des Nominalwerts. Deshalb sind Nominalwerte schlechte Maßstäbe für Derivate.

Besser sind Marktwerte. Bei der Deutschen Bank haben die Derivate derzeit einen Marktwert von 615 Milliarden Euro. Doch Marktwerte können sich schnell ändern, weshalb ganze Mitarbeiterstäbe die Risiken überwachen müssen. Ohne komplizierte Modellrechnungen geht das nicht, deren Ergebnisse zwangsläufig von der Qualität der zugrundeliegenden Annahmen abhängen. Einige wenige Großbanken dominieren den Derivatemarkt. Kompliziert wird es, weil Risiken durch neue Derivate ausgeglichen werden und die Großbanken dadurch untereinander ein kompliziertes Derivategeflecht unterhalten. Fällt eine Großbank aus, kann dies zu einer Kaskade von Insolvenzen führen – oder auch nicht, wie man bei der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers gesehen hat. Die befürchtete Kettenreaktion blieb aus.

Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit einer Bank ist bei Derivaten der Schlüssel zum Erfolg, da man nie weiß, wieviel die eine Seite der anderen morgen schulden kann. Deshalb werden bei sinkender Bonität Sicherheitsleistungen fällig. Sollte die Deutsche Bank zu deren Erfüllung illiquide Aktiva zu Schleuderpreisen versetzen müssen, könnte eine Abwärtspirale einsetzen. Die Milliardenstrafe des amerikanischen Justizministeriums sowie die Verkleinerung des US-Geschäfts sind für das Geldhaus zwar teuer, doch von einer Gemengenlage wie während der Finanzkrise 2008 ist das alles noch weit entfernt.

Es ist zwar eine potentiell explosive Lage, in der sich die Deutsche Bank befindet (JF 41/16), aber kein Kurs auf einen Eisberg. Die deutschen Dax-Konzernchefs machen sich zu Recht Sorgen, aber ein Fiasko ist keineswegs unvermeidlich. Trotzdem sichern sich einige Marktteilnehmer vorsichtshalber mit Kreditausfallversicherungen gegen den GAU ab – und das sind natürlich Derivate.