© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/16 / 21. Oktober 2016

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Glücklich A: Von den Tageszeitungen bis zum philosophischen Boulevard diskutiert man neuerdings die Frage, wie wir glücklich werden. Die Ergebnisse sind lebensklug und bescheiden: Haltet euch an eure Kreise, findet Genügen im Kleinen und Alltäglichen, traut auf die „dumpfe Gewißheit, daß es bei allen Webfehlern im Universum und im Staate immer irgendwie weitergeht“ (Dirk Schümer). Man könnte das sympathisch finden, sogar konservativ, aber daran hindert das Mißtrauen gegen die Verhältnisse. Das legt den Verdacht nahe, daß das auch nur ein Teil der großen Suggestion ist. Die, mit der Herrn Jedermann beigebracht wird, daß die Dinge in jedem Fall so zu bleiben haben wie sie sind.

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Auf der Skala eitler Selbstdarstellung von eins bis zehn rangieren viele Professoren weit oben; aber manche sprengen auch die Kategorie, für die könnte man eine neue Meßgröße einführen: den Tibi.

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Glücklich B: Dänemark soll eines der glücklichsten Länder der Welt sein. Man möchte das glauben, zumal als Deutscher, auch eine Art Vaterlandsvariante, wie die Schweiz, nur nicht für Rechte, sondern für Linke, früher einmal wegen des perfekten Wohlfahrtsstaates, jetzt noch wegen des dauerduzenden Egalitarismus und jener Art von Selbstgerechtigkeit, die sich nur in den Krähwinkeln der Weltgeschichte ausbildet.

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In der Pfarrkirche St. Peter und Paul zu Görlitz, zwei Abbildungen, von der bronzenen Taufglocke aus dem 14. Jahrhundert, dem einzigen Überrest des romanischen Vorgängerbaus, und der Madonnenfigur, der bedeutendsten gotischen Skulptur der Region, beide heute im Polnischen Nationalmuseum in Warschau – das Beutekunstproblem bedarf dringend der Aufarbeitung.

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Wie sich die Zuspitzung der Verhältnisse auch entwickeln kann, zeigen die Ergebnisse der Kantonalwahl im französischen Departement Vaucluse. Dort hat die von dem Bürgermeister der Stadt Orange, Jacques Bompard, geführte Liga des Südens im ersten Wahlgang mit 41,1 Prozent der Stimmen abgeschnitten. Die Partei lehnt nicht nur dezidiert jede Zuwanderung ab – deren Folgen im Midi besonders drastisch zu spüren sind –, sie betont darüber hinaus ihren patriotischen und christlichen Charakter. Das genügte zusammen mit dem Renommee Bompards, um sogar den Front National zu distanzieren, der nur auf 21,3 Prozent der Voten kam, während die Sarkozysten es gerade auf 15,8 Prozent brachten, kaum mehr als die Kommunisten von der Linksfront mit 13,8 Prozent und die Grünen mit 4,9 Prozent. Das waren immerhin drei Fünftel für die radikale Rechte und drei Viertel für alles, was nicht links ist. Die Regierungspartei der Sozialisten hatte übrigens wegen erkennbarer Chancenlosigkeit gar keine Kandidaten aufgestellt. Bei der Stichwahl am 9. Oktober setzten sich dann die Kandidaten der Liga mit zwei Drittel der Stimmen gegen die des FN durch.

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„Wir Polizisten sind doch sowieso nur noch die Pausenclowns der Politiker. Damit die behaupten können, daß sie die Organisierte Kriminalität im Griff haben.“ (Faber, Kriminalhauptkommissar)

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Wer spricht da von Bevölkerungsaustausch? Im Jahr 2015 verließen 110.000 Italiener ihr Land. Etwa zwei Drittel von ihnen sind jünger als 60 Jahre, ein Drittel jünger als 34 Jahre. Die meisten haben sich wegen der verheerenden Wirtschaftslage zur Auswanderung entschlossen, gleichzeitig hat Italien 150.000 illegale Einwanderer aufgenommen.

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Glücklich C, ganz konkret, DB: keine Verspätung von mehr als fünf Minuten; keine Umkehr der Wagenreihung; kein Ausfall der Platzreservierung; keiner auf dem gebuchten Sitz, der der Verkehrssprache ohnmächtig ist; kein Nachbar, der eigentlich für zwei hätte zahlen müssen; kein Penner, der sich das ICE-Ticket zusammengeschnorrt hat und mit seinen Ausdünstungen den Atem raubt; kein Damenkegelclub auf Prosecco; Platz 71 im Großraumwaggon Zweiter Klasse.

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Die aus Anlaß des Tags der deutschen Einheit beschworene Erweiterung der Nation um diejenigen, die sich zu ihr bekennen und keine Hineingeborenen sind, könnte man mit einem Achselzucken als Selbstverständlichkeit abtun, wenn da nicht ein merkwürdiger Unterton wäre. Deshalb folgendes zur Klärung: Die Segnungen des so leichtfertig über Bord geworfenen ius sanguinis lagen darin, daß nationale Zugehörigkeit grundsätzlich eine Selbstverständlichkeit war, keine Frage der Gesinnung; wenn man die Nation jetzt zur Bekenntnisgemeinschaft macht, dann legt sich die Möglichkeit der Bekenntnisprüfung nahe und natürlich auch die der Ausstoßung, falls jemand nicht deutsch genug ist, was unter den gegebenen Umständen wohl hieße, nicht eifrig genug an den Kanon der politisch-korrekten Wahrheiten glaubt.


Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 4. November in der JF-Ausgabe 45/16.