© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/16 / 28. Oktober 2016

Vom Fußweg in die Biosphäre
Streit um Freitagsgebet: Durch den Zuzug von Asylbewerbern platzte eine Potsdamer Moschee aus allen Nähten / Erst aus Angst vor „Populisten“ reagierte die Stadt
Peter Möller

Diese Bilder kannten die Potsdamer bislang nur aus dem Fernsehen. Dicht an dicht, in mehreren Reihen hintereinander knieten Hunderte Männer vor einem Haus in der Straße Am Kanal mitten in Potsdam. Freitag für Freitag. 

Weil die in dem Gebäude untergebrachte Potsdamer Al-Farouk-Moschee mit ihren 120 Quadratmetern unter dem Ansturm der Gläubigen aus allen Nähten platzte, bot sich den Anwohnern und Passanten in den vergangenen Monaten jede Woche das gleiche Bild: Die Betenden besetzten einen Großteil des Fußwegs vor dem Gebäude, auf den Betonplatten aus DDR-Zeiten hatten sie grüne Teppiche ausgelegt. 

Den Sommer über wuchs die mit Flatterband und Plastikstühlen gekennzeichnete Fläche ebenso wie die Zahl der Freiluftbeter – und damit der Unmut und die Verunsicherung der Anwohner. Die Stadtverwaltung um Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) sah dem Treiben lange Zeit weitgehend tatenlos zu. Der Fall in Potsdam ist ein Paradebeispiel dafür, wie die Behörden die gesellschaftlichen Auswirkungen der Asylkrise immer noch unterschätzen – ebenso wie die politische Dynamik, die sich daraus entwickeln kann. Denn für den rasant gewachsenen Platzbedarf der Moslems hat die Stadtführung selbst den im vergangenen Jahr eingesetzten „Flüchtlingszuwachs“ verantwortlich gemacht. Nach Angaben der Moscheegemeinde hat sich die Zahl der Islam-Gläubigen in Potsdam innerhalb des vergangenen Jahres verdreifacht. Trotzdem kam erst Ende September Bewegung in den Fall, nachdem die Potsdamer AfD freitags parallel zu den Gebetszeiten gleich für mehrere Wochen im voraus einen Info-Stand angemeldet hatte.

Denn mit der AfD kam die Presse. Die unter freiem Himmel betenden Moslems waren plötzlich ein Thema für die breite Öffentlichkeit über die brandenburgische Landeshauptstadt hinaus. Damit wuchs der Druck auf die Politik. 

Bereits in der zweiten Woche wurde der Stand der AfD-Mitglieder nicht nur von zahlreichen Fernsehteams umlagert, sondern auch – aufmerksam von der Polizei beobachtet – von Mitgliedern der linksextremen Antifa. Die anderen Parteien warfen der AfD unterdessen vor, sie nutze den Platzmangel in der Moschee aus, um Stimmung gegen den Islam zu machen. Die Kampagne der AfD rief zudem Trittbrettfahrer auf den Plan. Unbekannte hinterließen islamfeindliche Aufkleber an der Moschee und legten einen Schweinekopf vor der Tür ab. 

Doch die AfD wehrte sich gegen den Versuch der politischen Gegner und der Medien, ihr hierfür die Verantwortung zuzuschieben: „Daß jetzt ausgerechnet die Verursacher dieses lokalen Skandals, insbesondere die regierende und verantwortliche SPD, die monatelang weggeschaut haben, uns jetzt eine Mitverantwortung geben wollen, ist ebenfalls mehr als geschmacklos“, wies AfD-Landesvorstandsmitglied und Standorganisator Steffen Kotré die Vorwürfe zurück.

Dann ging plötzlich alles ganz schnell. Bereits am Tag des zweiten AfD-Infotisches gab die Stadt bekannt, daß sie dem Moschee-Verein die Orangerie-Halle der Biosphäre, einem Überbleibsel der Bundesgartenschau von 2001, als Ausweichquartier für das Freitagsgebet angeboten habe. Mit dem Angebot werde „nach der Prüfung Dutzender Liegenschaften nun ein Versprechen zur Unterstützung bei der Suche nach einem Gebetsraum eingelöst“, beeilte sich die Stadt mitzuteilen, wohl in der Hoffnung, so der Frage aus dem Weg zu gehen, warum das Problem ein Jahr lang ignoriert worden war. „Es ist damit sichergestellt, daß die Freitagsgebete künftig in einem entsprechend großen Raum stattfinden können. Ich freue mich, daß wir dem Verein mit seiner Gemeinde in einer Notsituation helfen können“, sagte Oberbürgermeister Jakobs. 

Für die Nutzung der neuen Räume will die Stadt nach Angaben von Sozialdezernent Mike Schubert (SPD) die Betriebskosten eintreiben. Einen Schönheitsfehler hat der Umzug der Potsdamer Moslems in die Orangerie-Halle, die Platz für bis zu 500 Menschen bietet: Sie ist zeitlich bis zum Frühjahr 2017 begrenzt. Bis dahin müssen Stadt und Moschee-Verein, der von der Stadt als gemäßigt und unpolitisch eingeschätzt wird, eine langfristige Lösung gefunden haben. 

Für diese Woche hat die Stadt daher Verhandlungen mit dem Land über einen dauerhaften Standort für eine neue Moschee angekündigt. Geld vom Staat, so versichern Stadt und Land bislang, solle es aber nicht geben.