© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/16 / 28. Oktober 2016

Guck mal, wer da horcht
Spionage: Der Bundestag hat das neue BND-Gesetz beschlossen / Zugriff auf Internetknotenpunkte / Kritik von Journalistenverbänden und Opposition
Christian Schreiber

Der Bundestag hat Ende vergangener Woche die Neuordnung der parlamentarischen Kontrolle der Geheimdienste und außerdem eine Reform des Bundesnachrichtendienstes beschlossen. Mit beiden Vorhaben hat die Große Koalition Konsequenzen aus den jüngsten Geheimdienstskandalen gezogen. Die Neuorganisation des Auslandsgeheimdienstes wurde durch die NSA-Überwachungsaffäre ausgelöst. 

Das Image der Dienste hat darunter schwer gelitten. Vor allem, als sich herausstellte, daß nicht nur die amerikanischen Schlapphütte mächtig Daten gesammelt, sondern ihre deutschen Kollegen dabei kräftig mitgeholfen haben. Damit soll es nun vorbei sein. Das neue Gesetz, so die Koalition aus Union und SPD, schaffe klare Regeln und feste Kontrollmechanismen. Kritiker bemängeln dagegen, daß vieles von dem, was bisher illegal war, künftig legal sein wird. Das neue Gesetz sieht ein neues Gremium vor,  das aus zwei Bundesrichtern und einem Bundesanwalt am Bundesgerichtshof besteht.  Dieses soll künftig vom Bundeskanzleramt direkt über Maßnahmen des BND informiert werden und über eventuelle Spionage gegen Einrichtungen der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten entscheiden. 

„Ausspähen unter Freunden ganz offiziell erlaubt“

Solche Maßnahmen müssen vom Präsidenten des Nachrichtendienstes direkt angeordnet und vom Bundeskanzleramt abgesegnet werden. Dadurch soll es klare Entscheidungsebenen geben und ein Kompetenzgerangel vermieden werden. In der Vergangenheit hatte es wiederholt den Vorwurf gegeben, der BND habe ein unkontrollierbares Eigenleben entwickelt. Das Kontrollgremium soll auch bei Bedarf jederzeit die vom BND eingesetzten Spionage-Suchbegriffe überprüfen können. Der Untersuchungsausschuß des Bundestags hatte zutage befördert, daß der BND zum Teil unzulässige Selektoren etwa gegen befreundete Staaten benutzt hatte. Die Gesetzesneuregelung erlaubt künftig aber das Ausspähen von EU-Institutionen oder -Mitgliedstaaten, etwa wenn es um Gefahren für die innere und äußere Sicherheit, die Handlungsfähigkeit Deutschlands oder Erkenntnisse von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung geht. 

Schon vor der Verabschiedung des Gesetzes wurde kritisiert, daß diese Regelung zu schwammig sei und dem Dienst erhebliche Spielräume lasse. Gleiches gilt auch für das Verbot der Wirtschaftsspionage. Findet diese mit dem Ziel von Wettbewerbsvorteilen für deutsche Unternehmen statt, ist sie untersagt. Allerdings bleibt „die Aufklärung von wirtschaftspolitisch bedeutsamen Vorgängen“ im Einzelfall erlaubt. Massive Kritik hat die Regelung ausgelöst, daß der Geheimdienst auf Internetknotenpunkte in Deutschland zugreifen darf, über die der weltweite Datenverkehr abgewickelt wird. Die dabei gesammelten Daten darf der BND künftig bis zu sechs Monate speichern und auch an ausländische Dienste weitergeben.

Die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) kündigte eine Klage gegen das neue Gesetz an. Eine solche Verfassungsbeschwerde sei „dringend geboten“, sagte sie dem Handelsblatt. „Der deutsche Auslandsgeheimdienst, der tief im Sumpf der illegalen Überwachung steckt, erhält neue, ausgedehnte Befugnisse, die teilweise verfassungswidrig sind.“ Auch die Linkspartei überlegt, ob sie den Gang vor das Verfassungsgericht in Karlsruhe antreten soll. Mit dem neuen Gesetz könne der Geheimdienst künftig nahezu alles rechtfertigen, kritisierte der Bundestagsabgeordnete  André Hahn gegenüber dem Deutschlandfunk. „Damit wird das Ausspähen unter Freunden auch ganz offiziell erlaubt.“ 

Die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ zeigte sich entsetzt über den Beschluß des Bundestags:  „Diese Reform ist ein Verfassungsbruch mit Ansage“, sagte Geschäftsführer Christian Mihr. Der BND dürfe künftig Journalisten und andere Berufsgeheimnisträger außerhalb der EU praktisch schrankenlos überwachen, wenn dies im politischen Interesse Deutschlands ist. Dies könne als Freifahrtschein für autoritäre Systeme gesehen werden. „Künftig kann man sich auf das Vorbild Deutschland berufen“, sagte Mihr.