© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/16 / 28. Oktober 2016

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Auf links gedreht
Paul Rosen

Die Risse im schwarz-roten Regierungsbündnis sind schon länger so groß, daß sie niemand mehr übersehen kann. In Bundestagsausschüssen erklären SPD-Vertreter regelmäßig, sie würden nur zu gerne für den Vorschlag von Linken oder Grünen stimmen, aber das gehe ja wegen der Koalitionsdisziplin leider nicht. So lehnen CDU/CSU und SPD dann die Oppositionsvorstöße ab. 

Aus dem sozialdemokratischen Verhalten spricht die Sehnsucht nach einem „historischen Bündnis“ – so wie es vor Jahrzehnten in Frankreich und Italien von „fortschrittlichen“ Kräften propagiert wurde, um die Kommunisten ins Regierungsboot zu holen. Und die heutigen Funktionäre von SPD und Grünen kennen sich fast alle aus den Studentenparlamenten, wo Bündnisse mit den Kommunisten selbstverständlich waren. Deshalb stieß ein Treffen von Abgeordneten und Funktionären der SPD, der Linkspartei und der Grünen in der vergangenen Woche im Bundestag auf enorme  Resonanz – von einem „Wandel durch Annäherung“ war in Berichten über das Treffen die Rede, bei dem es – einer historischen Sensation wenig entsprechend – nur Laugenbrezeln und Kekse gab.  

Die Euphorie einiger Teilnehmer sprach jedoch Bände: Der auf dem äußersten linken Flügel der SPD stehende Axel Schäfer erklärte, er sei „schon seit 1968 politisch aktiv – aber das war einer der bewegendsten Momente meiner politischen Laufbahn, weil wir so offen und fair miteinander umgegangen sind“. Nicht nur das. Mit einer Visite von knapp 40 Minuten adelte der SPD-Vorsitzende und Vizekanzler Sigmar Gabriel das Treffen: „Wir wollten euch mal überraschen“, sagte er zu den Journalisten. Für Gabriel ist die rot-rot-grüne Option die letzte Chance, 2017 Bundeskanzler zu werden. Reicht es nicht zur Mehrheit für das auch als „R2G“ bezeichnete Bündnis, müßte er entweder als Vizekanzler unter Angela Merkel weitermachen oder in die Opposition gehen. Dazu wußte jedoch schon Franz Müntefering, einer seiner zahlreichen Vorgänger: „Opposition ist Mist.“ 

Dem Rat von CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer, Gabriel müsse jetzt seinen Hut nehmen, wird dieser nicht folgen. „Als Vizekanzler geht man zu so einem Treffen nicht“, hatte Scheuer festgestellt. Doch Anstandsappelle hat Gabriel noch nie beachtet.   

Die CDU ignorierte das Treffen weitgehend; sie möchte die Grünen nicht vor den Kopf stoßen, sondern weiter umwerben, um sich neben der schwarz-roten auch die schwarz-grüne Option nach der Bundestagswahl offenzuhalten. 

Daher vertrauen Angela Merkel, Volker Kauder und Peter Tauber darauf, daß die rot-rot-grünen Bäume nicht in den Himmel wachsen, sondern Anmerkungen wie die der stellvertretenden Vorsitzenden der Linksfraktion, Heike Hänsel, die Realität besser spiegeln. Hensel hatte gesagt, die gute Atmosphäre könne „nicht darüber hinwegtäuschen, daß SPD und Grüne weit entfernt von linken Forderungen nach Wiederherstellung des Sozialstaats und einer friedlichen Außenpolitik sind“. Auch der Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch warnte in einer historischen Anspielung alle angehenden Revolutionäre vor einer „Oktober-Euphorie“.